Rußlanddeutsche verbittert über Rußland

■ Zum Ende ihres Kongresses akzeptieren die Rußlanddeutschen zwar die Errichtung zweier autonomer Landkreise an der Wolga, attackieren aber die russische Regierung heftig wegen ihres zögerlichen Vorgehens

Moskau/Berlin (taz/dpa) — Der parlamentarische Staatsekretär Horst Waffenschmidt ist eine Frohnatur. Es dauert schon eine Weile, bis er die gute Laune verliert. Beim gestern zu Ende gegangenen Kongreß der Rußlanddeutschen in Moskau allerdings hatte er zeitweilig Mühe, auch nur die Contenance zu wahren. Unsicher schien bis zum letzten Moment, ob die rund 1.000 Delegierten eine Erklärung annehmen, in der sie die russische Politik einer schrittweisen Wiederherstellung der deutschen Autonomie akzeptieren. Nahezu alle Delegierte votierten schließlich dafür, das russische Angebot einer Errichtung von zwei deutschen Landkreisen in den Gebieten Saratow und Wolgograd zuzustimmen. Zugleich verurteilten sie jedoch bitter die „faktische Weigerung der russischen Regierung, effektive Maßnahmen zu einer Wiederherstellung der deutschen Autonomie zu ergreifen“. Ihr eigentliches Ziel bleibt die Wiedererrichtung der 1941 aufgelösten Wolgarepublik.

Das ist eine Position, die auch der für Aussiedlerfragen zuständige Staatsekretär seit langem vertritt. Unermüdlich reist er von einer ehemaligen sowjetischen Republik zur anderen, um die Voraussetzungen für autonome deutsche Landkreise zu eruieren und die etwa zwei Millionen Deutschen zum Dableiben zu motivieren. Zwei Landkreise mit deutscher Verwaltung wurden bereits in Assowo bei Omsk und Halbstadt/Nekrassowo im Altai eingerichtet. Die Bundesregierung unterstützt deren wirtschaftliche Entwicklung mit 100 Millionen Mark. Der ukrainische Präsident Krawtschuk hat Anfang März 400.000 Deutsche in die Südukraine eingeladen. Geplant sind weitere Kreise in den sibirischen Regionen Novosibirsk, Tomsk, Orenburg und Swerdlovsk.

Nach dem Abstimmungsergebnis konnte auch Waffenschmidt wieder lachen. „Prüfen Sie die Angebote zu deutschen Siedlungen, die Ihnen hier im Lande gemacht werden“, rief er den Delegierten fast beschwörend zu, und wiederholte, daß weiterhin „das Tor nach Deutschland offen stehe“. Allerdings, fügte er hinzu und lieferte so Schützenhilfe für das russische Modell einer schrittweisen Autonomie, müsse er „ganz klar und ehrlich sagen, daß wir nur eine gewisse Anzahl von Aussiedlern aufnehmen können. Wir wollen unsere Mitbürger und Mitbürgerinnen nicht überfordern“. Eine deutsch-russische Regierungskommission mit gleichberechtigter Teilnahme der Rußlanddeutschen soll die Siedlungsprojekte durchführen.

Ein Mitglied dieser Kommission wird der Vorsitzende der rußlanddeutschen Organisation „Wiedergeburt“, Heinrich Groth, sein. Er hatte bis zur letzten Minute des Kongresses betont, daß das Angebot zweier weit auseinanderliegender autonomer Landkreise an der Wolga keine Rehabilitierung stalinistischen Unrechts, sondern Augenwischerei sei. Groth lehnt auch die Initiativen in Sibirien und in der Ukraine vehement ab. Er beharrt auf einer Massenausreise, weil der Kampf um eine selbstständige Republik an der Wolga verloren sei. Er stützt sich auf Umfragen, wonach 90 Prozent aller Rußlanddeutschen ihre Koffer packen wollen. Bei den deutschen Konsulaten liegen derzeit 650.000 Ausreiseanträge vor. aku