KOMMENTAR
: GRÜNE im Bermuda-Dreieck verschwunden

■ Wer diskutiert über Bremens Selbständigkeit?

Als ich vor kurzem einen alten Bekannten auf dem Uni-Campus treffe, fragt der mich ganz unverblümt, ob ich eigentlich noch Mitglied der „GRÜNEN“ sei. Als ich bejahe und frage: „Wieso?“ kommt postwendend die Antwort: „Na ja, die Trüpel tritt von einem Fettnäpfchen ins andere, der Fücks wollte früher der Partisan in der Regierung sein und backt jetzt kleine Brötchen und vom Vorstand weiß man nur, daß er gewählt worden ist.“ Da Begegnungen dieser Art sich in den letzten Wochen in der ein oder anderen Variante wiederholt haben, frage ich mich angesichts des tiefen Schweigens aus der grünen Partei, ob ich eigentlich der einzige bin, dem das so ergeht. Ich denke, die Grünen stehen zur Zeit in der Gefahr, sich in der noch ungewohnten und unsicheren Rolle des Koalitionspartners einzubunkern und die kritischen Fragen den anderen zu überlassen.

Zunächst einmal müssen wir zur Kenntnis nehmen, daß ein großer Teil der Bremer Öffentlichkeit das Gerangel um das Kulturressort nicht nachvollziehen kann. Auch in der Koalitionsregierung gibt es keine wirkliche Rückendeckung für die jetzt gefundene Lösung. Der Zuschnitt des Ressorts wird als Geburtsfehler der Koalitionsverein-barungen angesehen, aber man ist um des Koalitionsfriedens bereit, das Ressort bis zum Ende mit durchzuschleppen. Der inzwischen eingetretene politische Schaden kann nur noch dann halbwegs aufgefangen werden, wenn in Kürze aus dem Kulturressort überzeugende Konzepte und Projekte auf den Tisch kommen, die der strategischen Bedeutung der dort angesiedelten Arbeitsfelder gerecht werden.

Ein zweiter Kritikpunkt betrifft in diesem Zusammenhang die Sensibilität für politische Symbolik und für politische Moral und Glaubwürdigkeit, zwei Gebiete, für die die GRÜNEN immer besondere Kompetenz beansprucht haben. Ich bin in der Regel dagegen, die Gehälter und Pensionen von Senatoren und Staatsräten in populistischer Weise zum Gegenstand öffentlicher Debatten zu machen. Harte politische Arbeit und der Verzicht auf ein Teil des Privatlebens müssen gut bezahlt werden, wenn man solche Ämter nicht vollkommen unattraktiv machen will. Dennoch hätte angesichts des unausweichlichen Spar-kurses des Senats die Bereitschaft, das Skalpell des Sparens auch an die eigenen Gehälter und Pensionen anzulegen, wenigstens ein symbolisches Zeichen setzen können. Zu solch einem selbst-verordneten Sparbeschluß war immerhin ein reiner SPD-Senat unter Koschnick während der achtziger Jahre fähig. Damals wurde ein Gehaltsmora-torium für die Bezüge der SenatorINNen auf drei Jahre beschlossen.

Wo bleibt eigentlich ein grüner Vorstoß in diese Richtung? Die Mitgliedschaft (siehe die beiden letzten lustlosen Mitgliederversamm-lungen) verhält sich überwiegend stumm und sprachlos. Auch dem neuen Vorstand, kaum gewählt, scheint es schon die Sprache verschlagen zu haben. Insgesamt macht die Grüne Partei den Eindruck, als ob sie im Bermuda-Dreieck von Senat, Koalitionsausschuß und Fraktion verschwunden ist. Dabei besteht dringender politischer Handlungsbedarf im Hinblick auf die öffentlichen Debatte über die neue Senatspolitik und die Zukunft Bremens. Gerd Syben hat nach der Ampelschaltung in der TAZ geschrieben, daß „die Ampel, soll sie funktionieren, unter Strom gehalten werden muß. .. Dieser Druck kann nicht aus den Parteien selbst heraus kommen, sondern nur aus einer kritischen Öffentlichkeit“ (TAZ vom 14.12.91) Seine Befürchtung, daß dieser Druck nicht aus den Parteien kommt, hat sich bisher leider auch mit Blick auf die GRÜNEN bestätigt. Aber auch außerhalb der Parteien fehlt in Bremen nach wie vor ein öffentlicher Raum für politische Debatten, in denen jenseits der jeweiligen Parteiräson Tacheles geredet wird und Tabuthemen auf den Tisch kommen.

Eines dieser Themen, das auch die Grünen angesichts ihrer Einbindung in die Regierungspolitik zu verschlafen drohen, ist die Frage nach der Selbstständigkeit Bremens. Quer durch alle Bremer Parteien gilt jeder als Landesverräter, der diese Frage auch nur aufwirft. Der politische Druck auf die Stadtstaaten wird in den nächsten Jahren enorm wachsen. Die Verhandlungen zwischen Berlin und Brandenburg über einen Vereinigungs-staatsvertrag könnten zum Modellfall für eine Neuordnung der Länder werden. Spätestens 1994, wenn die Zuweisungen aus dem Länderfinanzausgleich im Rahmen einer Neuverteilung zwischen alten und neuen Bundesländern ausbleiben, droht Bremen der finanzielle Kollaps. Hinzu kommen die jedes Jahr weiter ansteigende Zinslast und die Unwägbarkeiten der konjunkturellen Entwicklung. Der finanzielle Spielraum für eine soziale und ökologische Reformpolitik wird angesichts dieser Faktoren immer enger und kann einen Punkt erreichen, wo nichts mehr geht. Wenn die Grenzen sozialer Gerechtigkeit, die jetzt schon auf eine harte Bewährungsprobe gestellt werden, noch weiter überschritten werden, bliebe der Ampel nichts anderes übrig, als den Offenbarungseid zu leisten.

Bei aller berechtigten Verliebtheit in den Stadtstaatengedanken muß rechtzeitig über Alternativen diskutiert werden. Bremen braucht diese Diskussion. Wer hat den Mut, den ersten Stein zu werfen?

Lothar Probst