Winter ade, Hüfte tut weh

■ 7.Bremer Karneval: gescheiterte Winteraustreibung, 1.000 kreisende Hüften, Masken, Feuerdrachen

„Papi, sind das Gespenster?“, will der Knirps mit dem guten Ausblick von Vaters Schultern wissen. „Nee, die machen bloß Theater“, brummt es von unten zurück. Doch der Kleine hört gar nicht hin. Lieber krallt er sich noch fester in Vaters Lederjacke, um seinen Blick so gebannt wie vorsichtig an das zu heften, was sich da Samstag nachmittag um vier mitten auf dem Bremer Marktplatz aus schwarzer Plastikhaut pellt.

Natürlich sind das Gespenster, das sieht doch jedes Kind. Wie sie sich blaßbunt aus schwarzer Trauer winden, umtanzt von rot- gelben Feuergestalten, aufgeweckt und angestachelt von brausendem Bläserwerk. Ach ja, da sind sie ja auch schon, die Dutzende spitzhütig-schillernde Bläser der gewaltigen Tuba, der beschwörenden Klarinette aus dem Märchenland.

Und wie das erwachende Gespensterleben zu schwingen beginnt, in den Rhythmus gezogen von Pauken unerhörter Größe, angestachelt vom Trommelwirbel aus allen sieben Ecken des Marktplatzes! Aber schon ist da gar kein Marktplatz mehr, an der Domseite öffnen sich die Schotten und heraus quillt eine zündelnde Schlange feuriger Geschöpfe. Dazwischen dick bepelzte Riesenköpfe, hohläugig schwarze und schaurig weiße Nachtgestalten, am Schluß der giftgrüne Drachen, von lodernden Flammenwesen gezogen. Die kleinen Augen hinter Vaters Kopf hängen gebannt an dem gespenstischen Zug.

Aber Moment mal: „Papa, da fährt ja einer mit nem Fahrrad,

hier die zwei Masken

das hat nur ein Rad!“ Die weißen Gespenster tragen plötzlich rote Clownsnasen mitten im Gesicht. Und tanzen. Und jonglieren dazu mit Keulen und Körpern. Da ist auch gar nicht mehr nur der lange Zug der seltsamen Wesen, da sind auch tausend Leute rundherum. Die sehen aus wie jeden Samstag nachmittags um halb fünf. Aber jetzt lassen sie vorsichtig die Hüften kreisen, wippen auf den Zehenspitzen, schaukeln mit den Köpfen. Ein Fuß vor, den anderen zur Seite, den ersten wieder zurück. Und das ganze gleich nochmal. Und nochmal. Und sieh' an, da kommt sogar der Vater in Bewegung.

Die Musik klingt nach Schweiß und Tropenschwüle, und die schwarze Wolkenbank hat sich nicht bremisch ausgeweint

Und obendrauf der Sohn will runter. Eigentlich gucken sie doch freundlich, die roten, die gelben, die silbrig-blauen und die schwarzen Gestalten. Die Musik klingt nach Schweiß in Tropenschwüle, und die schwarze Wolkenbank hat sich nicht bremisch ausgeweint, sondern lacht mit und teilt sich für ein paar gelbe Wintersonnenstrahlen. Schon haben die ersten Kinder den grünen Drachen gestürmt, reiten mit auf seiner rosa Zunge. Das Volk mischt sich unter die Gespenster, schiebt im Sambaschritt über die Sielwallkreuzung.

Die Sonne taucht unter, der Mond hängt als Lampion am Himmel. Und der Marktplatz- Kreis rundet sich neu auf dem Berliner Platz. Im bengalischen Feuer dirigieren trommelnde Feuertänzerinnen das finale Fu

rioso: eine brasilianische Batucada, aufgeführt von 200 norddeutschen Sambaspielern, beklatscht von tausend Händen, den Winter zu vertreiben. Oder doch lauter Gespenster? Vater und Sohn lassen an diesem Samstag abend die Frage offen. Aber am nächsten Morgen fallen dicke Schneeflocken aus Bremens Wolken.

Dirk Asendorpf