"Leib und Geist sind ein Ding"

■ Wie ein Doktor on the road die ganzheitliche Medizin entdeckte / Paracelsus, Geistheiler, Gottsucher und Freak, ist auch nach fünfhundert Jahren aktuell / Der Alchemist als Chaos-Theoretiker

Wie ein Doktor on the road die ganzheitliche Medizin entdeckte/ Paracelsus, Geistheiler,

Gottsucher und Freak, ist auch nach fünfhundert Jahren aktuell/ Der Alchemist als Chaos-Theoretiker. Von

Mathias Bröckers

I

m September vergangenen Jahres wurde seines 450.Todestages gedacht, der 500.Geburtstag steht 1993 bevor, vermutlich, denn das genaue Geburtsdatum des Theophrastus Bombastus von Hohenheim, genannt Paracelsus, ist unbekannt. Sein Vater Wilhelm, aus dem schwäbischen Geschlecht der Bombaste, hatte sich als Arzt im schweizerischen Einsiedeln niedergelassen, bei Ausbruch der Schwabenkriege 1499 verläßt er mit der Familie die Schweiz und wird im österreichischen Villach als Stadtarzt ansässig. Hier besucht Theophrast die Klosterschule, lernt in der väterlichen Praxis die „Materia Medica“ und als Laborant in den örtlichen Bergwerken und Schmelzhütten Metalle und Legierungen kennen, das was später zu einer der Säulen seiner Wissenschaft werden sollte: die Alchemie. 1509 geht er als reisender Scholar an die Universität Wien und von dort nach Ferrara, wo er 1515 zum Doktor der Medizin promoviert. Hier nun beginnt für Paracelsus, was mit der Ausbildung in allen Wissenszweigen und dem Doktorhut doch eigentlich abgeschlossen sein sollte: die Lehr- und Wanderjahre. Nicht das Interesse an Land und Leuten, sondern Erfahrungshunger und Wissensdurst, die Armut des papiernen Heilwissens, das er sich angeeignet hat, treiben ihn durch ganz Europa. Als Militärarzt nimmt er am venezianischen Krieg teil, reist über Spanien nach Lissabon, von dort über Frankreich quer durch Deutschland, nach England, Schweden und Moskau, dann wieder über Polen, Ungarn und Kroatien bis nach Sizilien, Rhodos und Konstantinopel. Auf dieser unter damaligen Verkehrsverhältnissen kaum vorstellbaren Weltreise hat er „...in all den Enden und Orten fleißig und emsig nachgefragt, Erforschung gehabt der gewissen und wahrhaften Künste der Arznei. Nicht allein bei den Doktoren, sondern auch bei den Scherern, Badern, Wundärzten, Weibern, Schwarzkünstlern, bei den Alchemisten, bei den Klöstern, bei den Edlen und Unedlen, den Gescheiten und Einfältigen“.

Daß eine solche Reise, bei der Paracelsus die Volksheilkunde im wahren Sinne des Wortes erfährt, nicht ohne Ärger abgehen konnte, versteht sich von selbst: „Sie trieben mich aus Litauen, danach aus Preußen, danach aus Polen, war nicht genug — ich gefiel den Niederländern auch nicht, den Universitäten nicht, weder den Juden noch den Mönchen. Ich danke aber Gott, den Kranken gefiel ich...“

Reformator und Rüpel

Im Jahr 1524, nach acht Jahren auf der Landstraße, kommt Paracelsus in die Heimat zurück und beschließt, wohl auf Anraten des Vaters, sich niederzulassen. Er eröffnet eine Praxis in Salzburg und beginnt sein Wissen in ersten Entwürfen zu Papier zu bringen, doch schon nach wenigen Monaten muß er Salzburg verlassen, angeklagt, mit den aufständischen Bauern zu sympathisieren. Er wandert durch Oberschwaben und läßt sich in Straßburg nieder, nicht im Stand der akademischen Doctoren, sondern in der Gilde der „Lutzernen“, denen neben den niederen Wundärzten und Chirurgen auch Bader, Schmiede, Henker und andere selbsternannte Therapeuten angehören. Daß er sich nicht standesgemäß etabliert, hat mit dem Ruf zu tun, der ihm vorauseilt — einen „Reformator medicinae“, der die Schulmedizin, etwa die scholastische Autorität Galen, mit so deftigen Worten angreift, wie Paracelsus es tat: „Ich hätt' nicht vermeint, daß der Fürst der Ärzte dem Teufel in den Arsch sollt gefahren sein, nämlich seine Diszipel fahren ihm nach oder mindestens seiner Mutter ins Futtloch!“ —, einen solchen Rüpel wollen die Doctores in ihren Reihen nicht dulden. Nach kaum einem Jahr bricht er die Zelte in Straßburg wieder ab, der bekannte Baseler Verleger Frobenius, dessen schwere Beinaffektion die örtlichen Kapazitäten per Amputation kurieren wollen, verlangt nach dem Straßburger Medicus, und Paracelsus gelingt es in kürzester Zeit, den Schwerkranken wieder auf die Beine zu bringen. Frobenius kann sogar zur gerade stattfindenden Frankfurter Buchmesse reisen; diese Meisterleistung des jungen Doktors, der auch den Top-Autor des Verlags, Erasmus von Rotterdam, kuriert, bringt ihm den Ruf nach Basel ein: 1526 wird Paracelsus zum Stadtphysikus mit Lehrauftrag an der Universität ernannt. Daß er dort weiter auf die Autoritäten und ihre klassische Theorie der auf- und absteigenden Säfte schimpft, mag man ihm noch verziehen haben, daß er es aber statt im professoralen Ornat im Laborkittel und vor allem nicht im akademischen Latein, sondern auf Deutsch tat, muß zuviel gewesen sein.

Als er das Johannisfeuer im Sommer 1527 nutzt, um ein traditionelles Lehrbuch zu verbrennen, sind seine Professorentage gezählt. Wegen Beleidigung des Gerichts im Honorarprozeß mit einem Domherrn droht dann auch noch die Verbannung, und Paracelsus flieht aus Basel — nach kaum elf Monaten gutbürgerlicher Existenz ist der kleine bucklige Mann wieder, und bis an sein Lebensende, „on the road“.

Ur-Faust gegen Pharma-Riese

Schon in Basel hatte Theophrast die Apotheker mit seinem Plädoyer für möglichst einfache, reine Arzneisubstanzen gegen sich aufgebracht; mit seinem Buch über die Behandlung der Syphilis verschafft er sich bald einen weitaus mächtigeren Gegner, den Großkonzern der Fugger, der seine Pharma-Geschäfte gestört sieht. Die Fuggers importieren das von Paracelsus zur Therapie der „Franzosenkrankheit“ als nutzlos bezeichnete tropische Guajak-Holz — und sorgten mit Hilfe eines willfährigen Experten, des Dekans Auerbach, für ein Publikationsverbot seiner Arbeiten durch die Universität Leipzig. Wenn Goethe die Dispute seines Faust in „Auerbachs Keller“ verlegt, ist das kein Zufall — eines der Vorbilder der Faust-Figur ist niemand anderes als Theophrast von Hohenheim, der sich jetzt, um der Verfolgung durch den Pharma-Riesen Fugger zu entgehen, das Pseudonym Paracelsus zulegt.

Von dem 16bändigen Werk unter diesem Namen, einem Monolith der Medizingeschichte, erschien zu Lebzeiten nur das Wenigste, doch schon diese schmale Textbasis zeigt die umfassende Naturphilosophie, auf der die paracelsische Heilkunde und ihr Menschenbild basiert. Die Natur wird nicht statisch, sondern dynamisch gesehen, Mensch und Kosmos sind in einer „creatio continua“, einem permanenten Schöpfungsprozeß verbunden, Mikro- und Makrokosmos einander verschränkt und der Körper ein „leiblich Firmament“. In diesem universalen Koordinatensystem hat auch die Krankheit ihren Ort, sie ist kein Fremdkörper, sondern das konstituierende Gegengewicht, ohne das Leben undenkbar ist: „Denn wo das Firmament ist und die Elemente wie im Mikrokosmos, da sind fürwahr Friede und Unfriede.“

Krankheit und Gesundheit entstammen der gleichen Wurzel. Um zu heilen, muß der Arzt den „inneren Himmel“ des Patienten ebenso kennen wie den äußeren: „Der Befund des Urins muß an der äußeren Welt abgelesen werden, der Puls am Firmament begriffen, die Physiognomie am Gestirn...“ So kurios diese Anweisung klingt, sie bedeutet doch nichts anderes als die Einbeziehung von Umwelt und Psyche des Patienten in die medizinische Diagnose. „Wenn der Arzt aber die Welt nicht kennt, noch die Elemente und das Firmament, wie sollte er dann das Wesen des Menschen erkennen?“

Wie oben, so unten

Die im wunderlichen Deutsch-Latein verfaßten Schriften des Paracelsus beziehen alle Lebens-und Wissensbereiche ein. Wie er in die konkrete Heilkunst auch das Wissen der Hebammen, Hexen und Schamanen aufnimmt, so speist sich seine Metaphysik aus der Magie, der Mystik und der Hermetik. Dieser merkwürdige Doktor, der auf Kräuterweiber und Zigeuner mehr gab als auf gelehrte Autoritäten, hält auch, was Geist und Seele betrifft, von der scholastischen Theologie nicht allzuviel. Zwar bleibt der „Luther der Medizin“ merkwürdigerweise ein treuer Anhänger der katholischen Kirche, im Untergrund seines Werkes jedoch wimmelt es vor Ketzereien, gegen deren Tiefenpsychologie die des heutzutage mit Bann belegten Predigers Drewermann geradezu harmlos erscheint. Paracelsus erweist sich hier als Schüler des Hermes Trismegistos, jenes sagenhaften ägyptischen Weisheitslehrers und „Vaters der Magie“, dessen Schule schon viele Jahrhunderte vor Galilei von der Erdbewegung um die Sonne wußte und dieses Wissen und andere Erkenntnisse in „hermetischen Geheimnissen“ verbarg.

Die fünf „Seinsweisen“ des Körpers, mit denen Paracelsus Gesundheit und Krankheit erklärt — ein „grandios geschlossenes System“, das von der modernen Wissenschaftsgeschichte „in seiner Tragweite keineswegs gewürdigt worden ist“, so der Medizinhistoriker Heinrich Schipperges —, diese Lehre von den „Entien“ geht zurück auf die drei Prinzipien der hermetischen Schule:

1.„Wie oben, so unten“ — modern ausgedrückt: Die Bewegungen im atomaren Bereich entsprechen den Himmelsbewegungen;

2.„Jeder Mensch, jedes Wesen besitzt einen zweiten, feinstofflichen Körper“;

3.„Menschen sind sterbliche Götter, Götter sind unsterbliche Menschen.“

Ein weiteres Prinzip läßt sich in den aus dem zweiten Jahrundert n. Chr. stammenden Hermes-Papyri, dem corpus hermeticum, finden, Aufzeichnungen der hermetischen Gemeinde von Alexandrien, die alle, so der Gnosis-Forscher Gilles Quispel, um ein Thema kreisen: „Wer sich selbst erkennt, erkennt das All.“ Diese tiefenpsychologische Komponente durchzieht auch die Philosophie des Paracelsus, in der noch seine modernen Interpreten wie C. G. Jung „zukunftsträchtige Ansätze“ erblicken...„zu philosophischen, psychologischen und religiösen Problemen, welche in unserer Epoche anfangen, deutlichere Gestalt anzunehmen“.

Der Alchemist als Chaos-Theoretiker

Paracelsus mag als Pionier der Mikrochemie, der Antisepsis, der Wundbehandlung, der Pharmakologie, der Psychosomatik und anderer Bereiche der Heilkunst gelten, überraschend aktuell scheint er heute nicht wegen seiner praktischen Impulse für die Medizin, sondern wegen des ganzheitlichen, tiefenökologischen Zusammenhangs, in den er diese Praxis gestellt hat. Dasselbe gilt für seine Rolle als erster moderner Naturwissenschaftler, als Mittler zwischen antiker Alchimia und moderner Chemie — so genial seine Übertragung des an Steinen und Metallen gewonnenen alchemistischen Wissens auf organische Lebensprozesse war. Interessanter für uns heute ist wiederum der Kontext, aus dem Paracelsus diese für seine Zeit revolutionären Erkenntnisse nur gewinnen konnte, jene auf den mythischen „Dreifachen Weisen“ Hermes zurückgehende Kosmologie der Alchemie, der Kabbala, der Gnosis. Die paracelsischen Prinzipien der Konkordanz, Entsprechung von innen und außen und der sich ergänzenden Gegensatzpaare, hat die Wissenschaft des 20.Jahrhunderts auf merkwürdige Weise bestätigt: Nicht nur erlaubten es die von der Quantenphysik gefundenen Bewegungsgesetze des Allerkleinsten, die Bewegungsgesetze des Universums von der ersten Millisekunde nach dem (hypothetischen) Big Bang zurückzurechnen — wie oben, so unten—, gleichzeitig entdeckten die Quantenphysiker auch, daß das Bewußtsein des Beobachters untrennbar verknüpft ist mit den Teilchen und/oder Wellen der Materie — wie innen, so außen; und die neue Biologie der „offenen Systeme“ schließlich scheint mit ihren Theorien über die „Dynamik von Nicht-Gleichgewichtszuständen“, die „Selbstorganisation der Materie“ und der „Ordnung durch Chaos“ geradezu den alchemistischen Schriften des Paracelsus entsprungen: Für seine Entdeckung der „dissipativen Strukturen“, chemischen Reaktionen, die aus chaotischem Verhalten heraus in neue Ordnungszustände „springen“, erhielt der Chemiker Ilja Prigogine 1977 den Nobelpreis. „Dissipativ“, das heißt auseinanderstrebend, chaotisch, und „Struktur“, also zusammengehörend, geordnet— ein Paradox, mit dem die Alchemisten quasi auf du und du waren: Transmutatio nannten sie es, wenn der Abstieg ins Unbeständige und Chaotische wieder einmal in eine neue Ordnung mündete, und schrieben dieses Verwandlungswunder dem spiritus vitae, dem Lebensgeist, zu.

Der Geist der Natur als Quantenfeld

Diesen animistischen Glauben an eine höhere Intelligenz, eine Beseeltheit der Natur überwunden zu haben, sind die nachfolgenden Jahrhunderte zu früh gefeiert worden — spätestens seit Descartes lebten sie im Banne der machtvollen Illusion, die Natur sei vollkommen determiniert, die Quantentheorie aber verschaffte dem spiritus als Geist im Atom ein machtvolles Comeback: Alles Naturgeschehen unterliegt der „Unschärfe“, einem unberechenbaren Reservoir der Unbestimmtheit, Spontanität, Kreativität. „Gott würfelt doch!“, war die Antwort der Chaostheorie auf Einsteins Zweifel an dieser Unschärfe, wobei man mittlerweile hinzufügen darf: „Aber er läßt sich dabei in die Karten gucken!“ — denn die Millionen Moleküle, die in Prigogines Schmelztiegeln aus heillosem Chaos plötzlich ein einheitliches Muster bilden, sind nicht einfach vom Zufall gesteuert: „Um alle auf einmal ihre Farbe zu ändern, müssen ja die Moleküle miteinander ,kommunizieren‘ können. Das System muß als Ganzes handeln können.“ Es ist, so Prigogine, als wäre jedes Teilchen über den Zustand des ganzen Systems „informiert“.

Nun kommt heute zwar niemand auf die Idee, diese merkwürdige Steuerungsintelligenz mit Paracelsus „Vernunftlicht der Natur“ zu nennen; und daß das chaosgesteuerte Naturprinzip Selbstorganisation von einer „Weltseele“ oder allen Einzelseelen gesteuert wird, kommt für aufgeklärte Naturwissenschaftler ebenfalls nicht in Frage. Das universale „Gravitationsfeld“ aber, in dem zahlreiche weitere Quantenfelder, Aktivitäts- und Schwingungsmuster aufgehoben sind, spielt in der modernen Physik eine ähnliche Rolle wie die Weltseele, das „Licht der Natur“ bei Paracelsus. Die akuraten Zahnrädchen, mit denen der Mechanismus das Uhrwerk Universum erklären wollte, haben sich in unserem Jahrhundert in diffuse Schwingungsfelder aufgelöst— und die geradlinig marschierende Evolution in einen vom Chaos gesteuerten Selbstorganisationsprozeß, der mehr und mehr in seiner Ganzheit und nicht als Summe von Teilen betrachtet wird.

„Er ist noch ein Animist, entsprechend der Primitivität seines Geistes, und doch schon ein Materialist“, so C. G. Jung in einem jetzt wieder aufgelegten Auswahlband seiner Schülerin Jolande Jacobi (Paracelsus — Arzt und Gottsucher an der Zeitenwende, Walter-Verlag, Olten); und dieses primitive „noch“ scheint heute mindestens ebenso modern wie das revolutionäre „schon“. Es mag in der Welt des Paracelsus von Hexen, Teufeln, Inkuben und Undinen gewimmelt haben, entscheidend aber ist: Die Natur, im großen wie im kleinen, bestand für ihn aus belebten Partikeln, aus entia. Und noch die Krankheiten sind für ihn solche entia, ein „spiritualistisch Wesen“, weshalb auch ihre Behandlung nicht am Körper, sondern am Geist anzusetzen habe: „Die Krankheiten sind nit corpora, drum Geist gegen Geist soll gebraucht werden.“

Geist soll gegen Geist gebraucht werden

Dieser Geistheiler, der gleichzeitig die Chirurgie in die Medizin einführte, setzte nicht nur auf das „wirksame Wort“ des Arztes und gilt daher auch als Pionier der Psychotherapie, er war auch davon überzeugt, daß die Natur gegen jedes „ens morbi“ ein „arcanum“, ein Heilmittel, bereithält— eine spezifische Pflanze oder ein Mineral, die zu finden und wirksam einzusetzen der Arzt sich auf die seelische und körperliche Gesamtpersönlichkeit des Patienten einlassen muß. Krankheit ist für Paracelsus „ein natürliches Wachstum, ein Geistiges“, dem die „arcana“, die geistigen Heilkräfte der Natur, korrespondieren. Dennoch war Paracelsus kein puristischer Kräuterdoktor, der sich einfach aus der „Apotheke Gottes“ bediente. Als Aufgabe des Arztes sah er vielmehr die Kunst, aus diesem Kräutergarten durch Analyse und Synthese überhaupt erst herauszuholen, was in ihm steckt — nicht nur an stofflicher Wirkung zur schnellen Symptombeseitigung, sondern auch an geistmächtiger Substanz, zur ganzheitlichen Heilung. Was erstere Wirkung angeht, trug Paracelsus seine stärkste Arznei stets im Schwertknauf bei sich — das Opiumpräparat Laudanum, das den Schmerz „löscht wie Wasser das Feuer“.

Was die feinstoffliche Hochpotenz betrifft, wurde sein vielleicht direktester Nachfahre, Samuel Hahnemann, Ende des 18.Jahrhunderts fündig. Er entdeckte, daß die Verdünnung eines Arzneimittels, die seine Wirkung auf den materiellen Körper gegen Null bringt, den Effekt auf den feinstofflichen Körper potenziert. Wie sein Vorbild Paracelsus hatte der Selbstdenker und Querkopf Hahnemann, überworfen mit dem medizinischen Establishment seiner Zeit, dieses Paradox aus der Erfahrung gewonnen, den erstaunlichen Heilerfolgen, die er in der Praxis mit seinen „geistartigen Arzneien“ erzielte, und eckte mit der von ihm konzipierten wissenschaftlichen Homöopathie bis heute bei der Schulmedizin an. Daß ihre Prinzipien „Ähnliches mit Ähnlichem heilen“ und „Geist gegen Geist gebrauchen“ schon bei Paracelsus stehen, half Hahnemann und seinen Nachfolgern wenig. Ihr Rezept, eine Krankheit immateriell zu simulieren und so die materiellen Symptome überflüssig zu machen, ist zwar anerkannt erfolgreich, doch mit der herkömmlichen Physik und Kausalitätslehre leider nicht erklärbar.

So fristen die Homöopathen weiter ihr Dasein als paracelsische Doctores der Landstraße, jenseits der Kassenzulassung und an den Universitäten fast ebenso unmöglich wie seinerzeit dieser schimpfende Theophrastus von Hohenheim.

„Das Wahre ist schon längst gefunden, hat edle Geisterschaft verbunden, das alte Wahre, faß es an.“ Goethe hielt große Stücke auf seinen Zeitgenossen Hahnemann, diesen „wundersamen Arzt“, dessen merkwürdige Theorie ihn kaum überraschen konnte. Schon in jungen Jahren hatte sich der Dichter mit Paracelsus befaßt, von dem er 1810 in der Farbenlehre schreibt: „Man ist gegen den Geist und die Talente dieses außerordentlichen Mannes in der neueren Zeit mehr als in einer früheren gerecht.“

Dennoch wird man auch zwei Jahrhunderte später, zum 500.Geburtstag, diesem genialen Heilpraktiker und -theoretiker noch lange nicht völlig gerecht. Das aktuelle Berufsbild des Arztes fällt hinter die Standesethik eines Paracelsus ebenso weit zurück wie das der Pharma-Industrie, deren Geschäfte brummen wie zu Fuggers Zeiten. Wären die homöopathischen Arzneien nicht so spottbillig, man dürfte sicher sein, daß sich schon längst mehr als ein Universitäts-Dekan gefunden hätte, der ihre Verwendung propagiert, anstatt gegen ihre geisterhafte Wirkung zu polemisieren. Wollte man dem Heiler Paracelsus, der allenthalben im medizinischen Gewerbe als Genius okkupiert ist, heute wirklich gerecht werden, würde dies einer Revolution gleichkommen: Die Physik müßte sich in eine Physik der Metaphysik verwandeln und die Schulmedizin ihre materialistischen Grundlagen sowie die meisten ihrer Apparate verwerfen. Und die Geistheiler, vom klassischen Homöopathen bis zum hinterletzten Alternativ-Therapeuten, ernst nehmen. Es geht um nicht mehr, aber auch um nicht weniger als ein Nichts: die Anerkennung eines feinstofflichen Energiekörpers, der als Matrize des physikalischen Körpers fungiert und tiefgehende Auswirkungen auf ihn hat. Das ist von der Zitadelle der Wissenschaft nicht zu erwarten, und so wird sie weiter marschieren, wie es der Physiker Robert Jastrow beschrieben hat: „Der Wissenschaftler hat die Berge der Unwissenheit mühsamst und fleißigst erklommen. Er ist dabei, den höchsten Gipfel zu erobern, doch als er sich über den letzten Grat hinwegzieht, wird er von einer Gruppe Mystiker und Religionsstifter begrüßt, die dort seit Jahrtausenden auf ihn warten.“

Auch Parcelsus wartet dort und flucht über die lahmärschigen Pappnasen seiner Zunft, die auch nach 500 Jahren immer noch im Tal kraxeln. Mathias Bröckers