„Die Taktik mache ich!“

■ Der Dicke mit dem Motorrad auf der Radrenn-Piste: Die Stars hecheln hinterher

Dicke Männer auf knatternden Mofas, Millimeter an deren Hinterrad hängende, im Windschatten geduckt strampelnde Radfahrer, und das alles bei 70 Stundenkilometer um die enge Bahn: Das ist ein Derny-Rennen.

Bei den Sixdays werden die Fahrer viermal pro Abend frenetisch angefeuert. Doch am Samstag abend plötzlich ein Aufschrei: Als der Publikumsliebling Andy Kappes gerade mit seinem Schrittmacher Joop Zylaard zur Überholungsjagd ansetzen will, stürzt er — ein weiterer Derny- Fahrer und der Belgier Stan Tourne fallen über ihn.

„Hey, du hast gebremst!“ Andy Kappes ist sauer auf seinen Schrittmacher. Doch der 48jährige Holländer Joop Zylaard, Star unter den Derny-Fahrern und in Bremen ebenfalls Publikumsliebling, winkt ab. „Ich hatte einen Platten am Hinterrad — da konnte ich nichts für!“ In seiner 23jährigen Karriere als Derny-Fahrer sind dem Profi erst zwei Stürze passiert. „Na, ist das keine gute Bilanz?“ Der korpulente Mann mit dem Kaiser-Wilhelm-Bart lehnt sich zurück.

Früher hat Zylaard Go-Cart- Rennen gemacht, bis er im Rotterdamer Sport-Palast als Derny- Fahrer anfing. Mit Motoren konnte er umgehen, und von der Statur her war er prädestiniert für den Job: „Die Fahrer haben gern einen breiten Schrittmacher vor sich, dann bekommen sie nicht soviel Wind ab — und das ist ja der Trick.“

Zehn Jahre lang war er Amateur, seit dreizehn Jahren ist er Profi. Den holländischen Meistertitel holte er sich jedes Jahr im Vorbeifahren ab. Jetzt reist er mit den Radprofis von Oktober bis Februar durch den Sixday-Zirkus. Wieviel er verdient, verrät er nicht. Zumindest genug, um in Rotterdam Inhaber von drei Restaurants der gehobenen Klasse und einer Croissanterie zu sein, um die er sich im Sommer kümmert. Vor drei Jahren ist das Team Andy Kappes — Etienne de Wilde auf ihn zugekommen; seitdem ist diese Kombination oftmals der Liebling der Zuschauer.

Für die Zuschauer völlig unergründlich: Wie sprechen sich Fahrer und Schrittmacher ab? Wie schafft es der Radler, auf den Millimeter am Hinterrad zu kleben? Wer bestimmt, wann gesprintet wird, wann es ruhig zugeht? „Das ist alles Routine. In einer Runde gucke ich vier- bis fünfmal nach hinten, außerdem behalte ich eine Linie.“ Ängstliche Kollegen gebe es auch, sagt Zylaard schmunzelnd, die schauten sich dauernd um. „Ich mache mit der Hand Zeichen — –Geht gut?– — und wenn ich nichts höre, mache ich mein Rennen.“ Wohlgemerkt, sein Rennen. „Die Taktik mache ich.“ Und kommt der Radfahrer nicht mehr mit, ruft er „Ho!“. Das ist das internationale Zeichen, der Schrittmacher muß auf „Slow go“ gehen.

Geht Zylaard zum Angriff über, nennt er das „wegkommen, um den anderen kaputtzumachen“. Das heißt, er verschiebt den Körper ein wenig, damit der Gegner Wind abbekommt. „Höre ich vom Gegner –Ho, ho–, warte ich noch ein wenig ab und greife dann an.“

Absprachen unter den Derny- Fahrern gibt es laut Zylaard nicht. „Da sind so eigensüchtige Leute dabei — eine gemütliche Gruppe sind wir nicht.“ Jeder Fahrer hat einen eigenen Sponsor. Mit ein, zwei Kollegen versteht Zylaard sich gut, „mit denen mache ich viel Spaß. Aber wenn es ums Geld geht, das Rennen fängt an — dann guckt jeder auf sich.“ Mit seinem Fahrstil hat er sich schon so manchen bösen Kollegenspruch eingehandelt. „Ich fahre halt nicht immer sympathisch. Hinterher heißt es manchmal: Hey, du bist ein Schwein! Aber: Ich muß vorbei, mein Fahrer will gewinnen, da mache ich alles!“ Zwei Kollegen gebe es im Rennen immer, die sagten, –der Zylaard muß Wind abkriegen–. Das erzählt er mit Schalk in den Augen. „Wir haben das Glück, daß wir bei vielen Sixdays Publikumslieblinge sind. Und die 2.000, die auch mal pfeifen — mir egal.“

Daß Zylaard für viele nur der Clown auf der Bahn ist, macht ihm nichts aus. „Klar, viele lachen auch. Deshalb habe ich schon oft versucht, mehr Geld zu bekommen — Lachgeld!“ sagt er grinsend.

Nach 23 Jahren und über 6.600 Derny-Rennen ist er es immer noch nicht leid. Allerdings — zum Ende der Saison wird er schon etwas rennmüde. „Früher war das toll, wenn man in die tobende Halle kam — heute habe ich lieber meine Ruhe.“ Ans Aufhören denkt Joop Zylaard trotzdem noch lange nicht. Im nächsten Sommer wird er zusammen mit Etienne de Wilde bei den Weltmeisterschaften der Steher in Valencia starten. „Ich gewinne eben gerne — geschäftlich und sportlich.“ Susanne Kaiser