GASTKOMMENTAR
: Bittere Lehre

■ Zum Prozeß gegen den ehemaligen Dresdener Oberbürgermeister Wolfgang Berghofer

Wolfgang Berghofer hat gestanden. Das verdient einen gewissen Respekt, der sich selbstverständlich nicht auf die eingestandene Tat — Fälschung von Wahlergebnissen — erstrecken kann. Respekt deshalb, weil unter ehemaligen SED-Funktionären, Stasi-Mitarbeitern und Denunzianten bisher vor allem Übungen in der niederen Kunst, es nicht gewesen zu sein, zu erleben waren.

Aufmerksamkeit verlangt der Dresdener Prozeß aber aus zwei anderen Gründen. Die Einlassungen Berghofers erinnern — nach all der durchaus verständlichen Stasi-Hysterie der letzten Wochen — an die wirklichen Auftraggeber des spektakulären, des alltäglichen Unrechts in der DDR: die führende Partei, die Partei der Arbeiterklasse, also die SED und ihre Funktionäre. Wahlfälschung war ebenso eine Auftragsarbeit der SED wie die alltäglichen Bespitzelungen und Zersetzungsaktivitäten der Stasi. Und die Berghofers waren ebenso Ausführende wie die Stasi-Spitzel. Daran zu erinnern heißt nicht, zu relativieren — auch nicht den „Befehlsnotstand“ wiedereinführen zu wollen für DDR- Bürger (gegenüber der SED), für SED-Mitglieder (gegenüber ihrer Führung), für die SED-Führung (gegenüber Honecker), für Honecker (gegenüber Breschnew)... Aber es heißt, die Gewichte wieder richtig zu verteilen: Was als Entlastung gemeint ist, Berghofers „Ich habe auf Druck der Partei gehandelt“, wird zur Selbstanklage gegen den SED-Genossen Berghofer.

Der andere Grund, der unsere — ich gestehe: meine irritierte, ja befremdete — Aufmerksamkeit erregt, ist die Strategie der Verteidigung. Die Schöffen aus Dresden seien abzulehnen, so argumentieren die Verteidiger, weil sie Betroffene seien, denn schließlich sei ihnen das Recht auf demokratische, ehrliche Wahlen vorenthalten worden: Deshalb dürfen sie nicht über die Täter zu Gericht sitzen. Die Kommunalwahlen, so lautet das andere Argument der Verteidigung, seien gar keine „echten Wahlen“ im Sinne rechtsstaatlicher Prinzipien gewesen, also sei die Anklage juristisch gegenstandslos. „Was falsch ist, kann man nicht fälschen“, sagt Otto Schily. Verstehe ich die Logik dieser Argumentation richtig, so heißt das: Nur Westdeutsche können und dürfen zu Gericht sitzen über ostdeutsches Unrecht. Und: Die Regeln des Rechtsstaates sind nicht auf die ehemalige DDR und ihre Bürger anzuwenden, denn die DDR — das muß doch allen klar gewesen sein, was soll da jetzt das Lamentieren — war kein Rechtsstaat. Eben. Was nicht zu beweisen ist — jedenfalls nicht im konkreten Fall. Was vielmehr vorausgesetzt werden kann — aber unbedingt ohne jede Folge für die Akteure.

Ich habe immer gewußt, daß wir — rechtsstaatsunerfahrene Ossis — noch viel zu lernen haben. Daß die Lehre so bitter ist, habe ich nicht geahnt und weigere ich mich einfach zu glauben. Wolfgang Thierse

Der Autor ist Stellvertretender Vorsitzender der SPD