INTERVIEW
: „Wir können den Staudamm noch verhindern“

■ Medha Patkar nimmt heute für die „Bewegung zur Rettung der Narmada“ den alternativen Nobelpreis entgegen

Die Narmada-Bewegung kämpft gegen die indische Regierung, die mit finanzieller Unterstützung der Weltbank in Zentralindien gigantische Staudämme bauen will. Durch ein System von 30 großen, 150 mittleren und 3.000 kleinen Dämmen im Narmada-Tal soll aufgestautes Wasser für die künstliche Bewässerung von Feldern, für Stromerzeugung und Trinkwasserversorgung genutzt werden. Ohne daß Kosten, Nutzen und Schäden abschätzbar sind, begann 1987 der Bau des ersten, des Sardar-Sarovar-Damms. Die aufgestauten Fluten würden 100.000 Menschen vertreiben und fast 40.000 Hektar Land, davon ein Drittel Wald und ein Drittel fruchtbares Ackerland, überschwemmen. Die Regierung hat weder Umsiedlungspläne fertig, noch das notwendige Land dafür bereitgestellt.

taz: Wie kamen Sie als Städterin dazu, 1985 in entlegene Dörfer zu gehen und die Rettung des Narmada-Tales zu Ihrem Lebensinhalt zu machen?

Medha Patkar: Ich wußte, daß adivasi, UreinwohnerInnen, durch diese Art Mammutprojekte ins Elend geschleudert werden. Unsere Eliten wollen das westliche Konsummodell imitieren und alle Ressourcen für sich nutzen. Ich wollte schon immer für die arbeiten, die am meisten benachteiligt sind, weit im Landesinneren. Da muß man ansetzen. Nicht erst, wenn diese Leute vertrieben sind und in die Slums der Städte kommen.

Es ist Ihnen gelungen, Massen zu mobilisieren. Sie sind Wortführerin der Bewegung. Hatten Sie keine Schwierigkeiten, als Frau in dieser Rolle akzeptiert zu werden?

Das steckte schon immer in meiner Familie. Mein Vater war Gewerkschafter, und in unserem Haus saßen immer Gruppen von Arbeitern herum. Während ich Bücher las, beobachtete ich heimlich die Diskussionen und analysierte für mich, was mein Vater im Umgang mit den Leuten richtig oder falsch machte. Menschen in großen Gruppen, öffentliche Veranstaltungen, Reden halten war seit meiner Kindheit Teil meines Lebens.

Die Bewegung fordert einen sofortigen Stopp des Projektes, weil Kosten und Nutzen in keinem Verhältnis stehen, finanziell nicht, sozial nicht und für die Umwelt erst recht nicht. Stellen Sie sich mit den Kampfformen in die Tradition des Widerstands von Gandhi?

Ja, die DorfbewohnerInnen kämpfen friedlich und gewaltfrei und verweigern denen die Zusammenarbeit, die von der Regierung geschickt werden, um das Land zu vermessen oder es ihnen abzunehmen. Außerdem weigern sie sich, Steuern zu zahlen. Immer und immer wieder haben wir demonstriert, die Durchgangsstraßen durchs Land tagelang mit Tausenden blockiert, einen Hunderte Kilometer langen Marsch von 5.000 Leuten organisiert, ich bin mit sechs anderen in einen Hungerstreik getreten. All das ist schon geschehen. Jetzt kommt der entscheidende Teil der Schlacht: Unser Kampf muß sich gegen das Wasser selbst richten. Manibeli ist das erste Dorf, das im nächsten Monsun, etwa im Juli 1992, überschwemmt werden wird, wenn die Regierung den Damm weiterbaut. Die Bewohner wollen bleiben, sie wollen lieber ertrinken als weichen.

Wie können wir die Bewegung unterstützen?

Indem Sie bei Ihrer Regierung nachfragen, was mit Ihren Mark und Dollars passiert, in welche Projekte sie fließen. Machen Sie Druck, damit Ihre Regierung die deutsche Beteiligung an der Finanzierung durch die Weltbank zurückzieht. Japan hat das schon getan.

Das Narmada-Projekt ist Symbol für ein bestimmtes Konzept von Entwicklung, gegen das Sie kämpfen. Wie sieht Ihr Gegenmodell aus?

Zuallererst muß Entwicklungsplanung dezentralisiert werden und bei kleinen Einheiten, zum Beispiel in den Dörfern, ansetzen. Das bedeutet, daß die BewohnerInnen an der Entscheidung über die Nutzung von Ressourcen beteiligt werden müssen. Unsere Vision geht von einer Beziehung zwischen Mensch und Natur aus, die nicht ausbeuterisch ist, und eine Beziehung zwischen Mensch und Mensch, die nicht ausbeuterisch ist. Das ist aber nur möglich, wenn wir uns für einen Lebensstil entscheiden, der nicht den Konsum zum Gott erklärt. Dieser Lebensstil besteht teilweise noch in den Kulturen der UreinwohnerInnen. Deshalb dürfen wir nicht zulassen, daß sie zerstört werden.

Wie sehen Sie Ihre Rolle in der Bewegung?

Ich bin Teil der Bewegung. Ich bin davon überzeugt, daß wir das Projekt noch stoppen können. Wir teilen die Bereitschaft, den Kampf bis zum letzten Atemzug zu führen. Ich glaube, das ist die Stärke, das hat mich den Leuten nahegebracht. Ich habe immer an Massenmobilisierung geglaubt und daran, daß Menschen von der Basis her die Gesellschaft ändern können, wenn sie eine mächtige soziale Bewegung sind.

Sie sind kürzlich verhaftet worden, wurden aber nach massenhaften Protesten schon nach zwei Tagen wieder freigelassen. Die Anklage lautete auf Beleidigung des Regierung, tätliche Angriffe auf Beamte und Mordpläne. Fühlen Sie sich als Kriminelle?

Ich stehe nicht außerhalb der Verfassung. Unsere Waffen sind unsere Überzeugungen. Aber die Regierung weiß nicht, wie sie auf solch eine starke Massenbewegung reagieren soll. Deshalb kommen sie jetzt mit Stöcken und Prügeln, mit Tränengas und mit falschen Anklagen gegen uns. Wenn sie alle Anklagepunkte gegen mich beweisen könnten, könnten sie mich für 32 Jahre ins Gefängnis bringen... Interview: Christa Wichterich