TAG DES ENTWICKLUNGSHELFERS
: Vom Helfen, Geben, Nehmen und Verantworten

■ Warum Entwicklungshilfe noch nicht viel geholfen hat

Der Tag des Entwicklungshelfers im vorweihnachtlichen Dezember, drei Tage nach den feierlichen Eröffnungen der üblichen Advents-Spendenkampagnen. Da schwingen Idealismus und selbstloser Einsatz mit, Hilfe zur Selbsthilfe, ganz direkt von Mensch zu Mensch in konkret erfahrbaren sozialen Bezügen.

Es soll hier gar nicht darum gehen, der personellen Entwicklungshilfe, die EntwicklungshelferInnen und ExpertInnen umfaßt, ihre hohen Gehälter beziehungsweise ihr mit Kaufkraftausgleich und Sozialleistungen immer noch stattliches Unterhaltsgeld vorzurechnen. Es soll nicht von komfortablen Häusern mit reichlich Personal, vom Projektauto und den Verführungen einer a priori privilegierten weißen Existenz in farbiger Umwelt die Rede sein, nicht von dem je neuen Orientierungsbedarf in der Fremde und dem oft ungeschlachten, anmaßende Arroganz und Rassismus nicht immer vermeidenden Verhalten.

Gehen wir von dem aus, was wir erst einmal unterstellen dürfen, von an sinnvoller Arbeit im Entwicklungsland ernsthaft interessierten, nicht mehr ganz jungen — das Durchschnittsalter liegt bei Mitte 30— Berufstätigen, die es mit der Hilfe zur Selbsthilfe durchaus ernst nehmen wollen: Oberstes Gebot ihrer Arbeit im Süden, das wird ihnen auch während ihrer Vorbereitung auf „draußen“ vermittelt, muß es sein, sich während und durch ihre Arbeit überflüssig zu machen.

Nun gibt es sich mehrende Stimmen im Süden, die sagen, daß sie das eigentlich oft schon sind. Allzu häufig treffen ExpertInnen, EntwicklungshelferInnen, GutachterInnen in der Tat auf hervorragend qualifizierte einheimische KollegInnen, die den Job grad so gut und besser machen würden. Fast allenthalben sind ja die Erziehungs- und Ausbildungssysteme mittlerweile so gut ausgebaut, daß es an Fachleuten nur noch in sehr spezialisierten Bereichen mangelt. Land X oder Einrichtung Y können die durchaus vorhandenen Fachkräfte aber immer öfter nicht oder nur unzureichend entlohnen. Sie werden außer Landes, in andere Bereiche oder in Nebentätigkeiten gezwungen, was ihnen nicht selten den Vorwurf mangelnden Engagements oder der Korruptheit einbringt (die es natürlich auch gibt). Personelle Entwicklungshilfe springt in die Bresche. So kann sie sich nicht überflüssig machen, und daß das so bleibt, dafür sorgen mehr als alles andere die entwicklungsrelevanten Politikstrategien der sogenannten Geberländer selber. Im Rahmen einer angeblich für alle gleichermaßen vorteilhaften internationalen Arbeitsteilung schreibt der reiche Norden via Internationalem Währungsfonds und Weltbank die Länder des Südens auf Rohstoffproduktion und -lieferung fest, während er selber hoch subventionierte Agrarexporte auf den Weltmarkt bringt und sich vor weiterverarbeiteten Produkten aus dem Süden weitgehend abschottet. Er nutzt dafür den Schuldenhebel.

Seit Mitte der achtziger Jahre fließen mehr „Schuldendienst“-Gelder von Süd nach Nord als Entwicklungshilfe von Nord nach Süd; laut Weltbank waren es allein im letzten Jahr 20 Millliarden US-Dollar. Ein Fünffaches davon ging durch Handelsverluste verloren. Während der Rohstoffanteil am Export so hoch und der Preis so niedrig ist wie zu tiefster Kolonialzeit, ist die Fähigkeit zur Selbstversorgung dramatisch verfallen. Zugleich hat eine Spar- und Umverteilungspolitik, die alle Ressourcen in die Exportförderung lenkt, Bereiche vitalster Grundversorgung (Gesundheit, Erziehung, Wasser, Transport) verrotten lassen oder dem Ertragsprinzip unterworfen und damit für die Masse der Bevölkerung unerreichbar gemacht.

Was sich in den Ländern des Südens als Verarmung, Umweltzerstörung, extreme Polarisierung in wenige Privilegierte und einer Masse Erniedrigter niederschlägt, wird bei uns als „Krise der Entwicklungshilfe“ seit langem in immer neuen Denkfiguren und Strategieantworten erörtert. Die personelle Entwicklungshilfe nimmt in jeder Facette an dieser Krise teil: Zugesagte Partnerschaftsleistungen können nicht gezahlt, die Arbeit weiterführendes Personal kann nicht eingestellt werden, es fehlt an den Mitteln, mühsam aufgebaute Ausbildungs-, Versorgungs-, Ausrüstungsstandards aufrechtzuerhalten, und so weiter. Wie kann Hilfe zur Selbsthilfe gelingen, wo die „Rahmenbedingungen“ mehr zerstören, als noch die engagierteste und gelungenste Entwicklungszusammenarbeit, wenn es denn eine solche war, zu bewirken in der Lage ist?

Der Erfahrung dieses Zusammenhangs entgeht niemand, der/die sich mit praktischer Entwicklungshilfe befaßt. Und die Fairneß gebietet es, darauf hinzuweisen, daß selbst moderate entwicklungspolitische Einsichten nicht ohne weiteres in der Lage sind, sich am Kabinettstisch durchzusetzen. Das ist der Entwicklungspolitik nicht umstandslos anzulasten. Aber wird selbst innerhalb dieser Rahmenbedingungen das Mögliche getan? Könnten nicht, wenn das entwicklungspolitische Durchführungsinstrumentarium entsprechend ausgelegt würde, gerade in der personellen Entwicklungshilfe sehr viel öfter Fachkräfte aus dem Lande zum Zuge kommen? Rangiert nicht bei allzu vielen Projekten und Entsendungen der Bestandserhalt der Apparate und seiner Klientel sowie politisch erwünschte Präsenz vor entwicklungspolitisch verantwortbarer Sinnhaftigkeit? Zeugt die jüngste, unter dem Stichwort Wehrgerechtigkeit geführte Debatte zur Entsendung von BerufsanfängerInnen nicht von der Zweitrangigkeit entwicklungsbezogener Überlegungen und obendrein von unerträglichem europäischem Hochmut?

Und, wenn es denn um „Lernen und Helfen in Übersee“ geht, wird nicht systematisch das Maul gestopft? Wo darf denn laut, kenntnisreich und angstfrei berichtet werden, wie die gegenwärtigen Rahmenbedingungen zum rien ne va plus auch der personellen Entwicklungshilfe werden? Allenthalben wird kritische Öffentlichkeitsarbeit mit Sanktionen bedroht und das ganz besonders, wenn und wo sie konkret belegt oder gar (was allerdings selten geschieht) Roß und Reiter benennt.

Mehr denn je gilt, daß die Lebensverhältnisse im Norden die Lebenschancen im Süden bestimmen. Wenn dort etwas besser werden soll, muß es hier Veränderungen geben. Mehr und anders geben ist nur die eine Seite. Weniger nehmen steht mit Dringlichkeit auf der Tagesordnung und muß gestaltet werden. Davon, das ist ihr anzulasten, spricht die offizielle Entwicklungspolitik nicht. Statt dessen hält sie dem Süden verschleuderte Entwicklungsmilliarden vor, von denen noch jede von deutschen ExpertInnen wenn nicht weitgehend bestimmt, so doch begutachtet, genehmigt, durchgeführt, abgenommen und also mitverantwortet wurde — und entdeckt nun an den Regimen, die zur gnadenlosen, oft von blutigen Kämpfen begleiteten Durchsetzung der Strukturanpassung gerade gut genug waren, mangelnde Wahrung demokratischer Verfahrensweisen und menschenfeindliche Grundsätze.

An den Mängeln ist vieles wahr; an schwerwiegender Mitverantwortung indes auch — entwicklungspolitischer und weltwirtschaftlicher Mitverantwortung. Claudia von Braunmühl

Die Autorin ist entwicklungspolitische Gutachterin und Dozentin an der TU Berlin.