Frau Ebert und die Fisch-Lucie

■ Bremer Frauen von A bis Z, ein biografisches Lexikon aus feministischer Sicht

Dame auf

Sessel

Louise Aston, Autorin, 1814 - 1871; der „Bremische Beobachter“ 1849 über ihren Auftritt im Hillmann Hotel: „...in großen Städten mit Männerhosen umhergelaufen, mit ihnen geraucht, gezecht, dafür von Polizeibehörden ausgewiesen“

„Dem bremischen Ideal von Weiblichkeit kommen die Frauen am nächsten, über die man nicht spricht“, schreibt Werner Kloos 1965 in seinem Almanach „Die Bremerin“. Das offizielle Bremen hat sich daran gehalten: In den beiden Bänden der „Bremischen Biographien“ vom 19. Jahrhundert bis zum Jahr 1962 tauchen neben 894 „Männern von Bedeutung“ ganze 31 Frauen auf. Diese Sichtweise will die „Femi

Die Malerin

Fanny Retemeyer, hat gelebt von um 1855 bis 1916, war Porträtmalerin der besseren Bremer Gesellschaft. Ihre Lebensgefährtin war ein gewisses Clärchen Lorenz.

nistische Geschichtswerkstatt“ des Frauen Kultur- und Bildungszentrums belladonna jetzt ändern. Sie stellte gestern ihr biografisches Lexikon „Bremer Frauen von A bis Z“ vor.

„Eigentlich kennt man in Bremen nur zwei Frauen“, meint Herausgeberin Hannelore Cyrus, „Gesche Gottfried und die Gräfin Emma.“ Sie und ihre Mitautorinnen stöberten immerhin 206 erwähnenswerte Frauen auf. Autorinnen, Künstlerinnen, Musikerinnen, Pädagoginnen und Politikerinnen fanden mit ihrer Kurzbiografie Aufnahme auf den 510 Seiten des Buches. Erstes Kriterium: Tot mußten sie sein. Und: weil nicht nur „Elite-Frauen“ vertreten sein sollten, wurden auch Frauen aus Verbänden und Repräsentantinnen verschiedener Berufe aufgenommen, so daß nun auch die Vita der Drehorgelverleiherin Mutter Hocke oder der Fisch-Lucie nachzulesen ist.

Schlagen wir also mal nach: Berufe, verschiedene, Flechtmann, Lucie, gen. „Fisch-Lucie“. Wir erfahren: Sie war eine couragierte Marktfrau, allgemein beliebt wegen ihrer Menschlichkeit, aber auch gefürchtet wegen ihrer Schlagfertigkeit in Wort und Tat, wobei so mancher Fisch als Waffe herhalten mußte. Aus zwei Ehen hatte das Verkaufsgenie 17 (!) Kinder. Woher die belladonna-Frauen das wissen, ist jeweils am Ende der Biografie angegeben. Neben schriftlichen Quellen wurden Interviews mit Hinterbliebenen geführt, in diesem Fall mit Lucies Urenkel Jörg.

Auf Friehöfen gestöbert, mit den Enkeln gesprochen

Eine Heidenarbeit, bewältigt von den acht Autorinnen in nur zwei Jahren. Sie stöberten in Archiven, alten Zeitungen, fragten Leute aus und gingen immer neuen Spuren nach. Erkundungen auf Friedhöfen gehörten ebenso zur Spurensuche wie Reisen zu den verschiedenen Wirkungsstätten der Frauen. Das Material reichte aus, um mehrere Bücher zu füllen, was vielleicht auch noch kommen soll.

Die Weimarer Politikerin und Pädagogin Agnes Heineken kommt ebenso zu Ehren wie Bremens erste Rechtsanwältin Emmalene Bulling. Martha Goldberg, eines der fünf jüdischen Opfer der Reichspogromnacht von 1938, die Dienstmagd und ledige Mutter Margarete Adelheid Haber, die Gesindevermieterin Marie Johanne Hecker mit dem „liederlichen Lebenswandel“... Lebensgeschichten, die hautnah ganz viel Geschichte vermitteln.

Auf den ersten Blick einziges Manko des lesefreundlich gestalteten Lexikons sind die Fotos, oft unscharfe Reproduktionen. Und ob man den „anderen Blickwinkel“ auf Geschichte dadurch vermitteln kann, daß man auf einem Familienfoto von Louise Ebert ihrem Gatten, dem Bremer Nationalheiligtum Friedrich Ebert, einfach der Kopf abschneidet? Um die Gräfin Emma kamen übrigens auch die belladonna-Frauen nicht herum. Sie ist zu finden unter der Rubrik „Berufe“.

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Bremer Frauen von A bis Z, Hrsg. Hannelore Cyrus, Verlag in der Sonnenstraße, Bremen 1991, 39,80 Mark.

Frau mit Brille

Martha Goldberg lebte von 1873 bis 1938. Sie war Kaufmannstochter, Buchhalterin, Sekretärin. Sie gehörte zu den fünf jüdischen Opfern, die in der „Reichskristallnacht“ in Bremen ermordet wurden.