Die Eskalation war nicht mehr zu verhindern

■ SPD-Bezirksbürgermeister Helios Mendiburu (Friedrichshain) erinnert sich an die Räumung der Häuser in der Mainzer Straße

Der Friedrichshainer Bezirksbürgermeister Helios Mendiburu (SPD) hat vor einem Jahr, am 13. November 1990, vergeblich versucht, zwischen Senat, Polizei, Besetzern und Unterstützern zu vermitteln, um eine Gewalteskalation in der Mainzer Straße zu verhindern.

taz: Was ist Ihnen von den Ereignissen vor und während der Räumung der besetzten Häuser in der Mainzer Straße am meisten in Erinnerung geblieben?

Helios Mendiburu: Die Gewaltbereitschaft von seiten der Besetzer zur Verteidigung »ihrer Häuser« hat mich erschüttert, aber genauso, mit welcher Vehemenz die Polizeibeamten dagegen vorgegangen sind. Die Enttäuschung bei mir ist groß darüber, daß sich beide Seiten, bevor es zur Räumung kam, immer wieder gegenseitig Nadelstiche versetzt hatten. Dabei war es ihnen völlig egal, wie die Menschen um sie herum das wahrgenommen haben.

Sie haben seinerzeit versucht, mit dem damaligen SPD-Innensenator Pätzold Kontakt aufzunehmen, um den Konflikt vielleicht noch zu entschärfen. Pätzold war für Sie aber nicht zu sprechen. Hatten Sie das Gefühl, ein Ostberliner Bezirksbürgermeister hat im Westberliner Senat nichts zu melden?

Aus damaliger Sicht ja. Aber heute bin ich mir darüber im klaren, daß eine derartige Maschinerie wenn sie einmal läuft, kaum aufzuhalten ist. Ich habe ja auch versucht, mit den Besetzern zu reden: Baut die Barrikaden ab, geht in die Häuser rein und tut so, als ob nichts gewesen wäre. Aber auch das war nicht zu bewerkstelligen.

Sie verstehen also im nachhinein, warum sich Pätzold Ihnen gegenüber so verhalten hat?

Als Verstehen würde ich das nicht bezeichnen. Wenn der Punkt, an dem wir am späten Nachmittag und in der Nacht angelangt waren, derart kulminiert, ist es wahrscheinlich nicht mehr aufzuhalten. Das habe ich damals mit einer gewissen Resignation gesehen. Ich sehe aber auch, daß in den Vorverhandlungen Fehler gemacht wurden. Wenn man sich damals auf beiden Seiten mehr Mühe gegeben hätte und eine Konsensbereitschaft bestanden hätte, dann wäre uns die Räumung der Mainzer Straße erspart geblieben. Damit meine ich sowohl den Magi-Senat wie die Wohnungsbaugesellschaft WBF und die Besetzer.

Ein Jahr später ist aber immer noch nicht alles mit den besetzten Häusern in Friedrichshain zum Besten bestellt. Was ist Verhandlungsstand?

Darüber habe ich gerade am Mittwoch in der Bezirksverordneten- Versammlung gesprochen. Von 44 Häusern sind 17 legalisiert, rund sechs bis zehn Häuser stehen in Verhandlungen und werden demnächst legalisiert. Dort sind bereits Hausverträge abgeschlossen worden, jetzt werden die Instandsetzungsmodalitäten ermittelt, um zum Abschluß von Einzelmietverträgen zu kommen.

Für acht Häuser können keine Verträge abgeschlossen werden, weil die Eigentümer oder ihre Anwälte dies untersagen. Mit diesen Häusern haben sich sechs oder sieben weitere solidarisiert, weshalb mit diesen noch keine Verträge zustande gekommen sind. Mit zwei Häusern werden sicher keine Verträge abgeschlossen, weil von diesen soviel Gewalt und Unruhe ausgeht. Ein Haus ist baupolizeilich gesperrt. Hier wollten wir den Besetzern zusammenhängende Einzelwohnungen anbieten. Das ist aber gescheitert, weil die Besetzer ein ganzes Haus wollten. Bei neun Häusern besteht keine Bereitschaft zu verhandeln.

Steht demnächst wieder eine Räumungswelle bevor?

Nein. Wenn die Häuser rückübertragen werden, müssen sich die Eigentümer mit den Besetzern rumschlagen. Punktuell wir es sicher zu einzelnen Räumungen kommen.

Glauben Sie, daß es noch einmal zu einer Eskalation wie in der Mainzer Straße kommen könnte?

Das glaube ich nicht, obwohl bei den Besetzern sicher noch einige dabei sind, die zur Gewalt neigen.

Sind die geräumten Häuser in der Mainzer Straße heute alle vermietet?

Bei den ersten fünf Häusern ist man dabei. Die restlichen werden Ende des Jahres vermietet. Interview: Plutonia Plarre