Der Oggersheimer im Kongo

Ein Afrika-Abenteuerroman  ■ Von André Poloczek

Das Buch hat wenig Chancen, in einem „literarischen Quartett“ erörtert zu werden, eine Verfilmung steht gleichfalls nicht an, und da weite Teile des Lesepublikums derzeit mit der vielseitigen Lektüre von Scarlett beschäftigt sind, werden die Aufzeichnungen des Bonner Ministerialrates Robert Schüttauf wohl nur eine kleine Leserschaft erreichen. Das ist umso bedauerlicher, als der Roman sämtliche Erfordernisse eines populären Lesestoffes erfüllt.

Das Bundeskanzleramt am Vorabend des Golfkriegs. Die Herren Blüm, Genscher, Kohl und Stoltenberg sind zusammengekommen, um die mißliche Lage zu erörtern. Weiterhin zugegen ist der Ministerialrat im Verteidigungsministerium Schüttauf. Seine Einschätzung der Situation wird von dem Oggersheimer geteilt: Ganz ungut so ein Konflikt, und viel zu teuer angesichts der großen Aufgaben im Beitrittsgebiet. Was man brauche, das seien „blühende Landschaften, überall blühende Landschaften!“

Zu dumm, daß der Kanzler just in diesem Augenblick an einer Fetischfigur herumfingert und die Kraft des ihr innewohnenden Zaubers die fünf Herren augenblicklich in das Herkunftsland des Fetisch, nach Belgisch Kongo, versetzt. Damit nicht genug: Die vier Polit-Obernasen haben einen Zeitsprung um hundert Jahre in die Vergangenheit gemacht. Das ist die Ausgangssituation für C.S. Mertens Afrika-Abenteuerroman Belgisch Kongo, und wenn man sich auf diese Grundvoraussetzung einläßt, dann ist alles weitere glaubwürdiger als jedes Politikerstatement. Denn die Herren verhalten sich exakt so, wie wir es von ihnen erwartet hatten. Und selbst wenn man die pflichtbewußte Loyalität Schüttaufs — er erzählt die abenteuerliche Geschichte — seinem Dienstherren gegenüber in Rechnung stellt: Gerhard Stoltenberg ist der Intelligenteste in dem Bonner Quartett.

Seine Analysen der Situation sind scharfsinnig, die Schlüsse, die er zieht, logisch und seine Idee, den Kongo-Zauberer Makupete um Hilfe zu bitten, zeugt von geistiger Flexibilität. Blüm hingegen entpuppt sich einmal mehr als geistiger Dünnbrettbohrer. Da hilft es nichts, daß er von Sklavenhändler Ben Theo Hassan wegen seines ungewöhnlichen Wuchses für die Leibgarde eingekauft wird. Blüms Wert für die fünf Zeitreisenden bleibt fragwürdig; ebenso Hans-Dietrich Genscher. Seine im Ausland erworbenen Kenntnisse, ja selbst seine Afrikaerfahrung als Außenminister — unter dem dichten Blattwerk des tropischen Regenwaldes zeigen sich die Grenzen des Hallensers.

Und der gesamtdeutsche Kanzler tappt durch die Wildnis wie durch die Weltgeschichte. Für C.S. Merten lag der besondere Reiz darin, „die Promis, die man von Bällen und Banketten kennt, in einen anderen Kulturraum und in eine andere Zeit zu versetzen“. Dies geschieht, wenn man dem Autor glauben darf, nicht in satirischer Absicht. Stilistisch hat er sich an den Reiseaufzeichnungen des Henry Morton Stanley orientiert: „Ich habe eine Unmenge für die Afrika-Reisebücher aus dem 19.Jahrhundert ausgegeben, die Namen sind ebenso authentisch wie die Zitate!“ Der Anmerkungsappparat ist in der Tat erhellend und umfangreich. Ein fußnotenfestes Werk, das auch in Sachen Kolonialpolitik einige Aufschlüsse gibt. Selbst wenn sich Kohls Kampf mit den Nilpferden so nicht zugetragen hat, so sind wir doch geneigt, den Schüttauf-Papieren auch in diesem Punkt Glauben zu schenken, zumal sich des Kanzlers Erfahrungen mit den Flußpferden bei seinem Besuch in den fünf neuen Ländern als so hilfreich erweisen soll.

Auch andere Rätselhaftigkeiten im Verhalten der Politpromis während des Golfkrieges erklären sich schlüssig durch die Ereignisse am Kongo.

Kongenial illustriert, ganz im Stile eines afrikanischen Reiseromans aus dem vergangenen Jahrhundert, ist die Geschichte von Achim Greser, 'Titanic‘-Mitarbeiter und Genschman-Zeichner.“ Wenngleich die Illustrationen auf vordergründigen Witz und karikierende Elemente verzichten, so heben sie doch den satirischen Wert des Romans und steigern das Lesevergnügen.

Daß der Autor seinen Belgisch- Kongo-Roman „nicht in satirischer oder gar parodistischer Absicht geschrieben“ hat, glaubt man erst, wenn man weiß, daß er in Bonn wohnt, Sohn eines Ministerialrates im Bundesverteidigungsministerium ist und einige der Herren aus persönlicher Anschauung kennt.

C.S. Merten: Belgisch Kongo. Mit zehn Farbtafeln und zahlreichen Illustrationen von Achim Greser, 200 Seiten, Edition Kunst der Comics, Thurn, 34DM.