Abgang

■ Hermann Kant verläßt das PEN-Zentrum Ost

Abgang Hermann Kant verläßt das PEN-Zentrum Ost

Es fehlt mir die Seelenstärke, diesem Kandidaten zuzustimmen“, bekannte Hermann Kant in historisch einmaliger, beinah faustischer Verzweiflung seinen Gemütszustand. Und ach, da er mit seiner Absicht scheiterte, den Pfarrer Schorlemmer, der eine Art Tribunal über die DDR-Geschichte vorgeschlagen hatte, nicht in die „von mir geschätzte Vereinigung“, den PEN (Ost), hereinzulassen, ging er eben selbst: nach dem „Abspann“ nun der Abgang.

Wem nutzt das? hätte der langjährige Vorsitzende des DDR-Schriftstellerverbandes, Ausschlußexperte, ZK-Mitglied der SED und Honecker-Intimus, in früheren Zeiten gefragt, nicht ohne eine zweckmäßige, dabei klassenbewußte und dem Weltfrieden dienende Antwort parat zu haben. Wen interessiert das? lautet heute die bange Frage, und die Antwort fällt schwer. Die großen Medien jedenfalls bemühen sich um flächendeckende Aufmerksamkeit, wenn es darum geht, den Hautgout der realsozialistischen Arbeiteraristokraten immer wieder unter die Leute zu bringen. Von Buchpräsentation zu Pressekonferenz, von Talkshow zu Live-Interview werden die Gralshüter der letzten Menschheitsutopie auf sächsischem Boden gekarrt, während im geschundenen Lande der großen Idee selbst die monströsen Ausmaße des Scherbenhaufens von Tag zu Tag deutlicher werden.

„Kommt Zeit, vergeht Unrat“, rief Hermann Kant vor Jahren dem in den Westen getriebenen Reinzer Kunze hinterher. Eine Retourkutsche auf diesem Niveau muß der bekennende Späthumanist Kant gewiß nicht fürchten. Im Gegenteil. West- Spezi Bernt Engelmann, früherer Vorsitzender des Verbandes Deutscher Schriftsteller (VS), gibt die geschichtsphilosophische Marschrichtung an: Pflaumenkuchen, Jacobs Krönung und ab durch die Mitte. Sein im Magazin der 'Süddeutschen Zeitung‘ reportiertes Tegernseer Kaffeegespräch mit Schalck-Golodkowski repräsentiert die in sich selbst endlich zur Ruhe gekommene historisch-materialistische Dialektik: Der fanatische Strauß- Feind Engelmann, der die osteuropäischen Dissidenten wie Staatsfeinde seiner sozialistischen Denkwirklichkeit behandelte, und der wohlgenährte Strauß-Freund Schalck, der die Devisenbewirtschaftung der DDR mit dem kapitalistischen Fleischwolfgesetz des Klassenfeindes betrieb — ein Herz und eine Seele. Was gewesen ist, ist gewesen. Mehr als „Loyalität und Pflichterfüllung bis zum Letzten“ (Engelmann über Schalck) für die Sache des Sozialismus kann man nicht verlangen. So wird aus der Niedertracht von gestern die Plauderstunde von heute.

Wen das interessiert? Vielleicht diejenigen in Ost und West, die möglicherweise nie in jenen Vereinen, Akademien, Verbänden, Clubs und Beiräten saßen, wo der deutsche Geist seine wahre Macht erfährt, denen aber tatsächlich die Seelenstärke fehlt, aus der verbrecherischen Dialektik des Sozialismus den Abgang ins Kaffeekränzchen zu machen. Reinhard Mohr