Der Alte Mann und der Knast

■ Justizminister Klaus Kinkel weilt wegen Honecker in Moskau

Der Alte Mann und der Knast Justizminister Klaus Kinkel weilt wegen Honecker in Moskau

Erich Honecker darbt in der Heimat der Werktätigen und sehnt sich nach einem Lebensabend in der eben doch heimatlicheren Groß- BRD. Der frühere DDR-Oberhirte „appelliert an die deutsche Führung“, lehnt es aber ab, „sich den Racheengeln zur Verfügung zu stellen“. Und die liegen längst auf der Lauer: Die Ex-Bürgerrechtler fordern ein „Tribunal“, eine ihrer FührerInnen wollte ihn anschließend gar „ausbürgern“; das gesunde ostdeutsche Volksempfinden verlangt nach Menschenopfern und Klaus Kinkel jettete nun nach Moskau, um die „Rückführung“ des obersten Mauerhelden in den Moabiter Knast zu erwirken. Finanzminister Waigel hatte bei seinem letzten Moskaubesuch schon vorgearbeitet — Auslieferung gegen harte Deutschmark. Die Berliner Justizsenatorin wartet ab. Ihre famose Staatsanwaltsgarde „Abteilung Regierungskriminalität“ sitzt Kaffee trinkend in den Startlöchern und Norbert Blüm macht Honecker (und zehntausend kommunistischen NS-Verfolgten) schon mal den antifaschistischen Ehrensold streitig.

Schön, daß die Bürgerrechtsbewegung mangels anderer überzeugender Inhalte — die Verfassungsdebatte ist out — zu einem „Tribunal“ bläst. Schön auch, daß die Berliner Justiz endlich das „Tatortprinzip“ entdeckt und sich deshalb für die ganze ehemalige „Hauptstadt“ zuständig fühlt. Hut ab vor so viel Engagement. Die Westberliner Justiz hat nie einen Prozeß gegen die Spitzen des Reichssicherheitshauptamtes geführt, gegen die Abteilungsleiter des Reichsinnenministeriums, die Staatsanwälte und Richter des Volksgerichtshofs oder gegen die Generäle des Oberkommandos der Wehrmacht. — Lernen kommt nie zu spät.

Was tun? Der Fall Honecker ist und bleibt schwierig. Daher ein Vorschlag zur Güte: Wir garantieren dem kalten Alten weder Straffreiheit noch freies Geleit. Seine gesetzlichen Richter urteilen über ihn — auch dann, wenn am Schluß nur herauskommt, daß nach dem bisherigen Völkerrecht souveräne Staaten mit ihren Bürgern und Bürgerinnen tun und lassen dürfen, was sie wollen. Das wäre ja ein Ergebnis, ein Anlaß zum Nachdenken. Ansonsten bekommt Honecker pro Jahr im Naziknast zwei Jahre gutgeschrieben — falls also ein „Lebenslänglich“ ergeht, hätte die Strafverbüßung im Jahr 2011 zu beginnen. Götz Aly