DEUTSCH-POLNISCHE VERHÄLTNISSE II
: Später Entschluß

■ Zwangsarbeiterentschädigung: Nun ist die Industrie am Zug

Das nationalsozialistische Deutschland hat im Verlaufe des Kriegs etwa zehn Millionen Menschen als Arbeitskräfte ins „Reich“ deportiert — davon mehr als zwei Millionen aus Polen. Sie waren Menschen zweiter Klasse, teils fürchterlichen Arbeits- und Lebensbedingungen ausgesetzt. Viele dieser Menschen haben durch die Zwangsarbeit langandauernde physische und psychische Schäden davongetragen. Daß ihnen nun — ein halbes Jahrhundert später — eine, wenn auch kaum mehr als symbolische, Entschädigung durch die Bundesregierung zugesprochen wird, ist als spätes Eingeständnis der Schuld ein richtiges Zeichen.

Seit 45 Jahren haben es alle Bundesregierungen einigermaßen erfolgreich verstanden, mit Hilfe diplomatischen und wirtschaftlichen Drucks, juristischer Tricks und schlichter Ignoranz die Forderungen nach Entschädigungsleistungen für ausländische NS-Verfolgte im allgemeinen und ausländische Zwangsarbeiter im besonderen zurückzuweisen. Zunächst wurden alle Ansprüche ehemaliger polnischer KZ- Häftlinge und Zwangsarbeiter als Teil der Reparationsforderungen an Deutschland interpretiert. Dann gelang es, alle so definierten „Reparationszahlungen“ mit Hilfe des Londoner Schuldenabkommens auf den Zeitpunkt des Abschlusses eines Friedensvertrages hinauszuzögern — der nie abgeschlossen wurde. Nach der deutschen Wiedervereinigung legte die deutsche Seite daher großen Wert darauf, daß die mit den Ostblockstaaten zu vereinbarenden Verträge nicht „Friedens-“ sondern „General-“ oder „Nachbarschaftsvertrag“ hießen. Und Bundeskanzler Kohl drohte den Polen im Frühjahr 1990 ganz offen, daß Deutschland die Oder-Neiße-Grenze nur anerkennen werde, wenn Polen seine Reparationsforderungen — die Ansprüche auf Entschädigung der Zwangsarbeiter — fallenlasse.

Mit 500 Millionen DM ist die finanzielle Ausstattung der vorgesehenen Stiftung allerdings ganz unzureichend — geht man realistisch von noch lebenden etwa 800.000 ehemaligen polnischen Zwangsarbeitern aus, so bedeutet dies pro Kopf eine einmalige Zahlung von etwa 650 DM — eine lächerliche Summe. Hier kommt die deutsche Wirtschaft ins Spiel. Die deutschen Industrieunternehmen und auch die Landwirtschaft haben von der Beschäftigung der Zwangsarbeiter im Zweiten Weltkrieg in erster Linie profitiert: nicht nur, weil sie die eingesparte Lohnsumme nach Urteil des Bundesverfassungsgerichts nicht an die ehemaligen Zwangsarbeiter zurückzahlen müssen, sondern auch, weil sie ohne diese Arbeitskräfte in der zweiten Kriegshälfte gar nicht mehr hätten produzieren — und verdienen — können.

Die Vertreter der deutschen Industrie haben, mit wenigen Ausnahmen, bei der Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit ihrer Unternehmen, und insbesondere mit der massenhaften Beschäftigung von Zwangsarbeitern, bislang eine überaus unerfreuliche Rolle gespielt. Die Industrieunternehmen sind jetzt aufgefordert, das Kapital der Stiftung durch eigene Beiträge so weit zu erhöhen, daß die Verwirklichung der Versöhnungsabsicht nicht durch die unzulängliche finanzielle Ausstattung behindert oder gar verhindert wird. — Die Industrie ist jetzt am Zuge. Ulrich Herbert

Der Autor ist Historiker an der Fern-Uni Hagen