RAVENSBRÜCK REVISITED Von Mathias Bröckers

Nun ist die taz, wie überall zu lesen, derzeit nicht in gerade vorteilhafter pekuniärer Lage, die Redaktion der „Wahrheit“ ihrerseits kann innerhalb dieses mächtigen Pressehauses nur auf ein äußerst schmales Budget zurückgreifen, und was die Privatschatulle des Autors angeht, ist „Ebbe“ seit je ein Euphemismus — dennoch müßte man eigentlich einen Preis aussetzen. Die folgenden Zeilen sind deshalb als Appell und allerwärmste Empfehlung an alle irgendwie preisfähigen Gremien und Institute der Medien-Branche zu verstehen: Es gilt ein Stück Journalismus zu preisen, das in seiner schlichten Klarheit alles in den Schatten stellt, was an Reportagen und Kommentaren zur deutsch-deutschen Gemengelage in diesem Jahr veröffentlicht wurde. Es handelt sich um den 2. Teil einer Reportage, die Bernd Fritz im jüngsten Heft der 'Titanic‘ veröffentlicht hat, eine „Reise in die Gegenwart“ unter dem Titel „Kaiser's Kaffee Geschäft am KZ 15 O-1432 Fürstenberg-Ravensbrück“. Die Voraussetzungen, daß diese Reportage auf breitester Basis rezipiert wird, sind denkbar schlecht: zum einen, weil es sich bei 'Titanic‘ um ein Satire-Magazin handelt, seine Beiträge also nur unter dem Witz- und Komik-Vorbehalt rezipiert werden, zum anderen hat der Autor, Bernd Fritz, als „Bleistiftlutscher“ in „Wetten, daß...?“ als professioneller Täuscher und Fälscher Aufsehen erregt, sein Ravensbrück-Beitrag könnte also ebenfalls als pfiffiger Schabernack abgetan werden. Beides trifft nicht zu: Weder handelt es sich um einen satirischen Beitrag, noch um einen Fälschung — Bernd Fritz' „Reise in die Gegenwart“ ist eine astreine und saubere Recherche, und was sie herausbringt, ist alles andere als ein Fake — es ist die Wahrheit und nichts als die Wahrheit über diesen „Fall“ in Ravensbrück, der im Sommer die Gemüter des deutschen Pressewesens wochenlang erregte. Nur war offenbar keiner der Kommentatoren, die sich im moralischen Spreizschritt über die zu enge Liaison von KZ und Kommerz, von ökonomischem Aufschwung und verdrängter Vergangenheit mokierten, wirklich vor Ort. Und so konnte es kommen, daß man von 'Zeit‘ bis 'Stern‘, von 'FAZ‘ bis taz in heiligem Zorn über das pietätlose, konsumgeile Ossi-Pack bebte — während in Wirklichkeit alles ganz anders war: Vier Monate nach dem Anrollen der Bagger hatte der Leiter der Gedenkstätte es in einem Brief an die Stadt für „wünschenswert“ erklärt, „wenn noch ein Café hinzugebaut würde“. Drei Wochen bevor die Landesregierung die „Instinktlosigkeit“ der Kaiser's-Baugenehmigung erkannte, hatte das Landesamt für Denkmalpflege den Denkmalsbereich ausgewiesen, innerhalb dessen von „Sylvias Fitneß- Center“ bis zur Russen-Kaufhalle alles mögliche liegt, nur nicht der neu projektierte Kaiser's-Markt. Dies alles und noch viel mehr steht in der Reportage von Bernd Fritz — deren Lektüre durch den hiermit verliehenen „Wahrheitspreis '91“ dringendst anempfohlen wird, namentlich dem moralinsauren Besserwessi-Pack der bundesdeutschen „Qualitätszeitungen“.