Die Stasi als Alptraum

■ U. Plenzdorfs Stasi-Film „Häschen hüpf“ morgen in der ARD

Oktober 1989: Während SED- Chef Honecker den 40. Jahrestag der DDR zelebrieren läßt, werden am 7. und 8. Oktober in verschiedenen Städten der DDR Demonstranten zusammengeknüppelt und der Staatsgewalt „zugeführt“. Staatsanwälte, von der Stasi eilig zusammengetrommelt, segnen die Inhaftierung der „Rowdies“ und „Staatsfeinde“ widerspruchslos ab. Nur einer in Berlin weigert sich. Sein Argument: Es gebe keinerlei gesetzliche Grundlage. 53 Personen setzt er wieder auf freien Fuß.

Oktober 1990: Die Versuche, den Tag der deutschen Vereinigung zu zelebrieren, scheitern an der Gleichgültigkeit der Masse. Jubelrufe mischen sich mit Haßparolen. Auch jene Veranstaltung, die an die Ereignisse vom 7. und 8. Oktober 89 erinnern will, wird weiter nicht beachtet. Eine Kommission von Bürgerrechtlern hatte in mühsamer Kleinarbeit zusammengetragen, wer wofür verantwortlich ist. Den besagten Staatsanwalt traf keine Schuld. „Wenigstens Sie waren ein guter Mensch“, hatte ein Kommissionsmitglied bei seiner Anhörung geseufzt.

Oktober 1991: Wieder soll der Jahrestag der deutschen Einheit am 3.10. zelebriert werden. Im Fernsehen Talk-Shows, Glamour, Hallelujah. Und Ulrich Plenzdorfs Alptraumversion von den Ereignissen des 7. 10. 89 im Spätprogramm der ARD. Typisch: Vergangenheitsbewältigung findet bestenfalls kurz vor dem Einschlafen statt.

Häschen hüpf ist ein Ost-Film. Regie führt der Ost-Filmemacher Christian Steinke, produziert hat der DFF. Und er erzählt die Geschichte vom Staatsanwalt Daniels. Der steht gerade im Garten und streicht einen Zaun an, als ein obskurer Abgesandter in einem Lieferwagen vorfährt und ihn höflich bittet mitzukommen. Im Wagen werden ihm Handschellen angelegt. Weitere Personen werden ins Auto gestoßen, gefesselt, abgefahren, in einen riesigen Gefängniskäfig gestoßen. Breit grinsende Stasi-Leute warten auf die Gelegenheit, ihre ängstlich am Boden hockenden Gegner — allesamt Mitglieder der Kommission zur Aufarbeitung der Ereignisse vom 7. Oktober — nachhaltig zu demütigen: „Häschen, hüpf!“, sonst hagelt es Schläge und beißen die Schäferhunde.

Es ist der reine Terror. Gefängniswärter marschieren wie in allen Diktaturen der Welt: klirrend, gesichtslos, ohne Gefühl. Auch der Staatsanwalt wird mit einer blutroten Binde vor den Augen abgeführt. Um sein Leben zitternd, schwört der unheldenhafte Held, daß er zukünftig wieder der Arbeiterklasse dienen wolle. Doch als er die Augen öffnet, sieht er statt des erwarteten Todeskommandos die Kommission vor sich stehen... Schweißgebadet erwacht Staatsanwalt Daniels: Die Löwengrube war nur ein Alptraum. Er lacht erleichtert, küßt seine Frau — und sieht, wie draußen das Stasi-Auto vorfährt...

Plenzdorfs Science Faction spielt zum Teil an Originalschauplätzen wie dem Stasi-Knast in der Nähe des Alexanderplatzes und mit Original- Schauspielern, wenn man die Initiatoren der Großdemonstration vom 4. November 1989 so nennen kann. Und Regisseur Christian Steinke war selbst von der Stasi zweimal aus dem Berufsleben herauskatapultiert worden: Zeitweise lebte er als Traktorist vom Mistausfahren. Doch die neue Freiheit ist auch für ihn eine zwiespältige. Die nahezu vollständige Abwicklung des DFF, bei dem er selbst früher arbeitete und zuletzt diesen Film herstellte, hält er für eine psychologische Katastrophe: „Nun sind wir eine Minderheit von ein paar Millionen Arbeitslosen und ohne Platz für Sendungen mit unseren eigenen Sichtweisen.“ Ute Scheub

„Häschen hüpf oder Alptraum eines Staatsanwalts“, ARD 22.50 Uhr, 3. Oktober