DER KLEINE KINDERFREUND
: Öko-Pädophile

■ Kinder werden im privatökologischen Kampf für die Umwelt mißbraucht

Tankerunglücke, Tschernobyl, atomare Erblasten, kaputter Wald, Regen, der die Bäume zerfrißt und Sonne, die Hautkrebs erzeugt: Die Fakten sind bekannt, die Meldungen vom drohenden Untergang alltäglich geworden. Also müssen künstliche und kindliche Reizverstärker her, die den Schrecken dieser Tage wieder ins Gedächtnis rufen; denn Gewöhnung, das wissen die Umweltschützer, ist der sichere Tod. Man nehme also die Kleinen, die gleich der ökologisch höchst wertvollen Robbe reflexartig Mitleid und Schutzinstinkte bei den Großen auslösen.

Heraus kommen Naturfreizeiten, wo die Kinder die Liebe zur Umwelt pauken wie sonst französische Vokabeln. Erdgasfirmen machen eine Werbekampagne mit ihnen („Gemeinsam für die Umwelt“). Umwelterziehung wird zum wichtigen Bestandteil der Schulen und Kindergärten, die Literatur zum Thema schwillt beständig. Kürzlich erst erschien ein 'Natur‘-Sonderheft: „Kind und Umwelt“. Jetzt plant dieselbe Zeitschrift einen sogenannten „Kindergipfel“. „Laßt uns im Kleinen und mit den Kleinsten anfangen“, heißt es in einer Mitteilung der Kindertagesstätten Berlin — Kinderkreuzzug 1991.

Die gezielte Mobilisierung paßt zu einem Gesamtkonzept von „globaler Verantwortung“, dessen wesentliches Merkmal ist, daß es keine Unterschiede mehr macht: Alle sind verantwortlich, alle haben mitzuhelfen, der Havarie des Planeten Erde vorzubeugen. Aus sämtlichen Bereichen der Gesellschaft treten gegenwärtig Protagonisten ins Licht der Öffentlichkeit, heben mahnend, stirnrunzelnd ihre Zeigefinger und deuten vorwurfsvoll auf die zerstörte Natur: Menschen, was habt ihr da gemacht! Auch Politiker entdecken „die Verantwortung des Einzelnen“ (Klaus Töpfer), Kulturkritiker erzählen vom globalen Dorf und meinen die Erde. Theologen wie Hans Küng fordern einen „Weltethos der Weltreligionen“, Ernst Ulrich von Weizsäcker verlangt gar „gebieterisch globales Denken“.

Mahnender Zeigefinger — „Prägung für Kinder“

Kurios ist diese Allianz. Vor der Kulisse einer düster gewordenen Zukunft verwischt alles, was an Unterschieden existiert. Einigkeit regiert — die Bemühungen gehen in die gleiche Richtung: Der Begriff der Verantwortung wird „demokratisch“, er wird dezentralisiert, dehnt sich aus, umhüllt den Planeten, doch verdünnt sich auch. „Im Kleinen anfangen“, rufen die Ökologen. „Umweltschutz fängt vor der Haustür an“, schreit es aus anderer Ecke. „Mensch, mach mit“, schreibt 'Bild‘. Die Erde retten, den Schrebergarten ökologisch düngen — ein jeder soll sich vor diesen Karren spannen lassen, hat Verantwortung zu tragen für das Schicksal der Welt. Und wenn er noch nicht so recht will, dann muß er dazu gebracht werden. So fordert der Umweltminister von Schleswig- Holstein, Berndt Heydemann, das Prinzip der „Prägung“ auch für die Kindererziehung zu verwenden. Umweltgerechtes Verhalten solle so tief ins Gehirn gepflanzt werden, daß es nachher „nicht mehr verlernbar“ sei.

Gemäß den bayerischen Schullehrplänen haben die Kleinen zu lernen: „Wir alle tragen zum Sauren Regen bei.“ In den Berliner Tagesstätten sollen sie dann am Objekt die Umweltliebe entwickeln. Es gehe darum, so formuliert es eine der Pädagoginnen in einer grundsätzlichen Stellungnahme, „eine affektive Beziehung“ zum Regenwurm aufzubauen. Und es geht auch noch um etwas anderes, wie eben diese Pädagogin erläutert: „Es geht um die Welt.“ Und im Bewußtsein des großen Ziels, nämlich der Rettung der Erde, hat ein jeder zu schweigen und mitzumachen.

Natur als glucksende und zwitschernde Heilanstalt

Die Argumente werden autoritär, alles, jede Lebensregung gerät in den Sog der drohenden Katastrophe. Die Idee von Verantwortung kolonisiert jeden Winkel des Alltags, auch der Privatheit. Während irgendwo ein Tanker auseinanderbricht und ein halbes Meer verseucht wird, da werden hierzulande die Kleinen, um das volle und pralle Naturgefühl zu lernen, barfuß und mit verbundenen Augen über Waldböden gescheucht, zum Bäumestreicheln geschickt, machen zwecks holistischer Bewußtseinsbildung „indianische Naturspiele“. „Brauchen Kinder vielleicht sogar einen Bezugswald?“, fragt der Biologiedidaktiker Dr.Gerhard Trommer von der TU Braunschweig.

Die Inszenierung von Natur, die Schlammspiele — damit die Kleinen lernen, was richtiger Dreck und saftige Erde ist — läuten gleichzeitig das Ende der Natur ein, wird ihr doch jedes Urwüchsige ausgetrieben. Sie wird berechenbar und in ihrer konstruierten Wildnis zu einer Einrichtung, einer Institution, zur glucksenden und zwitschernden Heilanstalt. Und wenn man auf diese Weise gestärkt die Parks und Ökologiestationen verläßt und man ist Politiker oder Zeitschriftenmacher, dann mag man vielleicht am 29.September zum Kindergipfel gehen, den 'Natur‘ in den geschichtsträchtigen Räumen der Frankfurter Paulskirche veranstaltet. Motto des Spektakels: „Wir sind eine Welt.“ „Es geht um die Umwelt, den Frieden und die Zukunft“, schreibt Chefredakteur Dirk Maxeiner in einem flammenden Editorial. „Kinder, euch gehört die Welt.“ Diese werden aufgefordert, ihre Ideen einzusenden, aktiv an der Gestaltung des Kindergipfels teilzunehmen. Steffen malt ein Bild, zwei Blumen, eine regnende Wolke. „Ich wünsche mir, daß die Erde ganz bleibt.“ Ein anderer zeichnet den blauen Planeten, kleine Kinder reichen sich die Hand, umspannen die ganze Erde, Titel des Gemäldes: „Die Welt der Kinder.“

Viele haben Briefe geschrieben, aus denen nichts spricht als das Gefühl großer Verzweiflung. „Mir machen Menschen mit Gasmasken Angst. Die soll es nie mehr auf unserer Erde geben.“ Oder: „Ich finde, wenn im Regenwald noch mehr abgeholzt wird und überall anders genauso viel, dann müssen Menschen und Tiere sterben. Ich habe Angst vor Drogen. Tiere dürfen nicht getötet werden. Ich liebe Pferde, deshalb möchte ich nicht, daß Wildpferde getötet werden.“ Es erzeugt schon ein schales Gefühl, dieses Nachgeplapper erwachsener Öko-Rhetorik liest.

Das Dilemma, nicht nur der Kinder: Es gibt keinen Kleber — und auch 'Natur‘ und die bayerischen Schulen offerieren diesen nicht — der das Ozonloch zusammenhält. Die Dinge lassen sich nicht fassen. Engagement hat keine verifizierbaren Effekte, sondern verschwindet irgendwo im schwarzen Loch des Weltgefüges. Deo ohne Treibgas, Alusammeln und die alten Zeitungen zum Container bringen, der ganze sympathische Minimalaktionismus, wird mit jedem neuen Tag und neuen Horrorszenarien schimpflich diskreditiert. Es nützt nichts, fast nichts. Und zumindest kann man nicht sehen, was da im Guten geschieht.

Auch weiterhin brechen die Meldungen vom größer werdenden Ozonloch, von Fabriken, die über Nacht einen ganzen Fluß verseuchen, und all die anderen Schreckensberichte mit voller Wucht in die so wunderbar angelegte Sozialidylle individueller Verantwortung, in der es kein Gefälle und keine Hierarchien mehr gibt, keine Armen und keine Reichen, sondern nur noch Menschen, die gemeinsam in „einem Boot sitzen“ und gemeinsam „an einem Strang ziehen“. Und weiterhin machen die Öko-Pädophilen, die die Phantasie eines Kindes versauen, in den Schulen und Kindergärten ihre Versuche mit den Kleinen, damit sie allesamt auch „aktive Umweltschützer“ werden. So rät ein Buch für „Umwelterziehung im Kindergarten“, die Kleinen sollten nicht etwa zum Spielen, sondern zum Müllsammeln an den Bach, sollten die selbstaufgezogene Kresse mit Altöl begießen, um dessen Schädlichkeit zu erkennen, und im Urlaub von den Eltern „an verschmutzte Gewässer herangeführt werden“. Und wenn sie es ganz doll treiben, die Öko-Maniacs, dann erklären sie den Kleinen — alles herhören: „Autoabgase belasten die Luft. Wir riechen Abgase.“ Man möchte dann eigentlich nur noch den Autoren solcher Ratschläge empfehlen, sie sollten selbst einmal Abgase riechen, in Altöl baden oder was auch immer, aber die Kinder doch endlich verschonen. Bernhard Pörksen