Aufwendig an den Problemen vorbei

Die Gipfeltreffen der sieben reichsten Industrienationen (G-7) werden immer aufwendiger/ Der Lösung der Umwelt- und der Schuldenkrise kommen sie nicht näher  ■ Von Rainer Falk

Wenige Wochen nach dem Londoner Weltwirtschaftsgipfel im Juli erweisen sich die Beschlüsse der Regierungschefs der sieben reichsten Industriestaaten (G-7) in weiten Teilen als von den Ereignissen überholt. Damals hatten die Regierungen der USA, Japans, der Bundesrepublik, Frankreichs, Großbritanniens, Italiens und Kanadas vor allem über Wirtschaftshilfen für die UdSSR beraten. Daß es nur vier Wochen dauern würde, bis das beherrschende Gipfelthema durch den erfolglosen Putsch in der Sowjetunion und den anschließenden Machtverlust der Moskauer Zentralregierung erneut auf die Tagesordnung käme, hätte weder im offiziellen Pressezentrum, dem Queen Elizabeth II Congress Center, noch im Hauptquartier des Anderen Wirtschaftsgipfels der Dritte-Welt- und Umweltschutzgruppen jemand für möglich gehalten. Und doch illustriert dieser Umstand, wie berechtigt die Zweifel an der Institution der G-7-Treffen sind. Als exklusiver Klub repräsentieren die Großen Sieben zwar zwei Drittel der Weltproduktion, aber nur 15 Prozent der Weltbevölkerung. Dieser demokratische Legitimitätsmangel paart sich mit wachsender Ineffizienz: Die Treffen werden immer aufwendiger, doch die Beschlüsse werden den Problemen immer weniger gerecht:

Gatt-Verhandlungen: Die öffentlichen Stellungnahmen der G-7 zur Bedeutung der Gatt-Verhandlungen für die Verbesserung der Situation der Dritten Welt, so stellte in London Chakravarthi Raghavan von der Dritte-Welt-Presseagentur 'Suns‘ fest, haben mit der Verhandlungsrealität in Genf nichts zu tun. Die Realität sei dadurch gekennzeichnet, daß es keinerlei Fortschritte auf den Gebieten gebe, die ein paar sehr begrenzte Vorteile für die Entwicklungsländer bringen könnten: nicht beim Marktzugang, nicht bei tropischen Produkten, nicht bei der Beendigung des diskriminierenden Handelsregimes für Textilien und Bekleidung, nicht bei der Stärkung der Gatt-Bestimmungen zum Schutz der Rechte der Schwachen gegen die Reichen und ihren Unilateralismus.

Globale Umweltverschmutzung: Obwohl es die G-7 in London geschafft haben, ein Viertel ihrer Wirtschaftsdeklaration mit ökologischer Rhetorik auszufüllen, wurden wieder keine konkreten Ziele für die Reduktion der klimaschädigenden Kohlendioxid-Emissionen beschlossen. Inzwischen stehen die USA hier gegen den Rest der Siebenergruppe. Als einziges OECD-Land hat sich der größte CO2-Produzent der Welt bislang nicht einmal dazu verpflichtet, den CO2-Ausstoß auf dem jetzigen Stand zu stabilisieren. Für die Vorbereitung der UN-Umweltkonferenz UNCED, die im nächsten Jahr in Rio de Janeiro stattfindet, hat dies gravierende Konsequenzen: Ohne eine Lösung dieses Problems wird jedes Klimaschutzabkommen ein bloßes Stück Papier bleiben.

Pilotprojekt Brasilien: Das vor einem Jahr in Houston auf Initiative von Bundeskanzler Kohl beschlossene Pilotprojekt zum Schutz der brasilianischen Regenwälder hätte in London definitiv auf den Weg gebracht werden sollen. Inzwischen ist es von der Weltbank und der EG bis zur Entscheidungsreife vorangetrieben worden. Doch mehr als die vage Zusage, mit 50 Millionen Dollar zur Finanzierung einer ersten neunmonatigen Vorbereitungsphase beizutragen, konnte Kohl seinen Gipfelkollegen nicht abringen. Das ist gerade ein Fünftel der Summe, die in den ersten beiden Jahren für das Programm gebraucht wird.

Die Nichtregierungsorganisationen sprachen sich in London dennoch für den Beginn der ersten Phase des Projekts aus, nachdem sie durch gezieltes Lobbying durchsetzen konnten, daß ein kommerzielles Eine-Milliarde-Dollar-Plantagen-Projekt in der Carajas-Region keine finanzielle Unterstützung erhalten wird. Vor allem Organisationen vor Ort sehen eine echte Chance, wenn es gelingt, die Mittel vorrangig auf die Unterstützung von Kleinprojekten zu konzentrieren.

Schuldenkrise: Vertagt haben die G-7 auch Beschlüsse über Schuldenerleichterungen für die Entwicklungsländer, wie sie vom Gastgeber des Gipfels, dem britischen Premier John Major, vorgeschlagen worden waren. Das Problem wurde kurzerhand an den Pariser Klub, den Zusammenschluß der Gläubigerstaaten, überwiesen, der freilich ohne eine konkrete politische Vorgabe der Regierungen kaum handlungsfähig ist.

In London war viel von einer „Stärkung der internationalen Ordnung“ und der notwendigen Aufwertung der Rolle der Vereinten Nationen in einer „neuen Weltordnung“ die Rede. Doch die eigentlichen globalen Aufgaben wie der Schutz der Umwelt, ein nachhaltiges globales Ressourcenmanagement oder die Lösung der Schuldenkrise waren damit offensichtlich nicht gemeint. Nach zwei „grünen Gipfeln“ in Paris (1989) und Houston (1990) war London der Gipfel des ökologischen Stillstands und Rückschlags. Die eigentliche Herausforderung, die in der Entwicklung eines neuen Verhältnisses nach Osten und nach Süden besteht, wird in dem vorgegebenen institutionellen Rahmen eines exklusiven Klubs nicht bewältigt werden können. Deshalb beklagte der andere Wirtschaftsgipfel „die ökonomische Ineffizienz der G-7, ihren Mangel an Demokratie und ihr Versagen bei der Lösung der ökologischen und sozialen Krise.“

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