INTERVIEW
: „Keine Vorzugsbehandlung für Gestalten wie Markus Wolf“

■ Wolfgang Ullmann, Verfassungspolitiker und Bundestagsabgeordneter von Bündnis 90, will den Prozeß gegen den DDR-Spion

taz: Herr Ullmann, Markus Wolf ist festgenommen, fühlen Sie sich jetzt erleichtert?

Wolfgang Ullmann: Nur zum Teil, weil man nach der Vorgeschichte nicht sehr zuversichtlich sein kann, daß das rechtlich klare Schritte zur Folge haben wird.

Markus Wolf war Chef des Auslandsnachrichtendienstes der DDR. Könnte man nicht sagen, daß ein solcher Nachrichtendienst eine ganz normale Behörde moderner Staaten ist, so wie etwa ein Wasserwirtschaftsamt oder die Verkehrspolizei? Eine Behörde auch, die nicht ausgerechnet von dem Staat, gegen den sie in erster Linie gerichtet war, rechtlich beurteilt werden kann...

Das denke ich ganz und gar nicht. Mir sind solche Behörden unter demokratischen und rechtlichen Gesichtspunkten, unter Gesichtspunkten der Öffentlichkeit und der öffentlichen Kontrolle allesamt verdächtig. Außerdem habe ich den starken Verdacht, daß ihre Effektivität bei weitem überschätzt wird. Darüber hinaus meine ich aber tatsächlich, daß die geheimdienstlichen Behörden eines Systems, das gegen eine Demokratisierung konspiriert hat, anders beurteilt werden müssen, als die — in meinen Augen auch verdächtigen — entsprechenden Behörden eines im übrigen demokratischen Systems.

Sie sind sich also mit dem Bundesgerichtshof darin einig, daß ein prinzipieller Unterschied zwischen dem Bundesnachrichtendienst der alten Bundesrepublik und der Hauptverwaltung Aufklärung (HVA) der DDR besteht?

Ja, denn diese HVA war Teil des Ministeriums für Staatssicherheit. Und das war der Kern eines Systems, das in meinen Augen mit Hilfe einer Konspiration gegen die Demokratisierung zustande gekommen ist.

Nun soll — entsprechend einem Antrag des Berliner Kammergerichts — das Bundesverfassungsgericht darüber entscheiden, ob diese ungleiche juristische Behandlung zweier gegeneinander gerichteter Spionageeinrichtungen auch verfassungskonform ist. Sehen Sie nicht auch, daß das Gericht hier möglicherweise überfordert und von Politikern einfach als Schlichtungsausschuß genutzt wird, weil sie sich selbst nicht auf eine öffentlich vertretbare Entscheidung einigen konnten?

Es ist eine weitverbreitete Tendenz, die rechtlichen Probleme durch politische Entscheidungen aus der Welt schaffen zu wollen. Ich bin freilich der Meinung, daß die politischen Entscheidungen Schneisen schlagen sollten für die Justiz. Das ist nicht geschehen. Ohne die Urteile der Justiz vorwegnehmen zu können, glaube ich doch: Auch eine unabhängige Justiz handelt im politischen Kontext der Demokratie. Das ist nun durch die Art und Weise des Vereinigungsprozesses alles in ein tiefes Zwielicht geraten. Und in jedem einzelnen Fall, in dem wir mit einem staatlichen Repräsentanten der früheren DDR — zu denen Markus Wolf ja auch zweifellos gehört — konfrontiert sind, werden wir immer neu in Ratlosigkeit gestürzt.

Sie plädieren also für einen rechtsstaatlich geführten Prozeß gegen Wolf?

Dieser Prozeß ist unvermeidlich. Man kann doch nicht diese armseligen Gefreiten und Soldaten, die an der Mauer eingesetzt waren, vor Gericht stellen und Gestalten wie Markus Wolf eine Vorzugsbehandlung zuteil werden lassen — von Schalck-Golodkowski, dem Stasi-Oberst, ganz zu schweigen. Er hat offenbar Sonderverträge.

Sie haben vorgeschlagen, eine Art Laientribunal einzuberufen, das über die Herrschaft und die Herrschaftsverhältnisse in der ehemaligen DDR urteilen soll. Mit der Idee dieses Tribunals wird auch schon gegen die laufenden Strafverfahren argumentiert, in denen sich staatliche Funktionsträger der ehemaligen DDR zu verantworten haben. Schließen sich Tribunal und Strafprozesse nicht gegenseitig aus?

Nein! Ein solches Tribunal schließt die strafrechtliche Behandlung der Fälle keineswegs aus, könnte sie aber auf eine klare Grundlage stellen. Es kann doch wohl nicht sein, daß alle möglichen Einzeldelikte strafrechtlich behandelt werden, daß aber die Antastung der Menschenwürde, der erste Grundsatz einer freiheitlichen Verfassung, überhaupt nicht justitiabel sein soll. Genscher hat in Moskau nicht ohne Grund die Frage gestellt, ob es nicht auch Sanktionen gegen Menschenrechtsverletzungen geben müsse. Ich denke durchaus nicht an ein Laientribunal, sondern an ein Tribunal, an dem auch Juristen und Experten beteiligt sind, die gemeinsam versuchen, rechtliches Neuland zu betreten. Interview: Götz Aly