Treuhand-Absage befördert Betroffene in ein Nichts

■ Zum 1.Juli sitzen in Brandenburg 13.000 Beschäftigte auf der Straße

Posdam. Beauftragt von seinem Kabinett hat Brandenburgs Ministerpräsident Stolpe früh in einer Feuerwehraktion zum Telefonhörer gegriffen, um bei Finanzminister Waigel und Kanzler Kohl gegen die Absage der Treuhandanstalt an die Arbeitsförderungs- und Beschäftigungsgesellschaften zu intervenieren. Die Situation auf dem Arbeitsmarkt von Brandenburg ist nach den Worten von Arbeitsministerin Hildebrandt explosiv. Zum 1.Juli, also nächste Woche, werden 13.000 Beschäftigte im Land mit einem Schlag durch das Auslaufen der Kündigungsschutzbestimmungen und der Kurzarbeiterregelungen auf die Straße gesetzt. Anfang nächsten Jahres kommen weitere 31.000 Leute hinzu. Wenn die Treuhandanstalt an ihrem Beschluß festhält, ihren Betrieben eine Beteiligung an Arbeitsförderungs- und Beschäftigungsgesellschaften zu untersagen, so die Ministerin, fallen diese Menschen ins Nichts.

30 bis 40 solcher Gesellschaften befinden sich in Brandenburg in einem förderfähigen Zustand. Ihnen wird de facto der Boden entzogen. Die Treuhand-Absage, befürchtet Wirtschaftsminister Walter Hirche, könnte Kommunen und private Träger veranlassen, ihrerseits auszusteigen. Nicht akzeptieren könne er, wenn die Treuhand auf ihre beschränkten Kapazitäten verweist. Die Berliner Riesenfirma habe bereits finanzielle Mittel, Sachwerte und Management-Know-how für die Gesellschaften zugesagt. Eine förmliche Beteiligung der Treuhandbetriebe, die nun verweigert wird, ist nach Meinung von Hirche nicht an die Pflicht zur zentralen Steuerung der Auffangmaßnahmen gebunden.

Es stimme auch nicht, daß die Überführung der Arbeitslosen in eine solche betriebsnahe Gesellschaft die Privatisierung behindere und bloß „Sammelbecken“ für „Kurzarbeit Null“ entstehen würden. Genau das Gegenteil sei der Fall, weil die sozial abgefederte Ausgliederung von Arbeitnehmern sich als Instrument zusätzlicher Flexibilität für den notwendigen marktwirtschaftlichen Umbau erwiesen habe.

Der Verhandlungsstil der Treuhand, klagt Ministerin Hildebrandt, nehme geradezu groteske Formen an. Geplatzt sei dadurch zum Beispiel die Arbeitsförderungsgesellschaft in Frankfurt/Oder, die insgesamt 3.600 ehemalige Beschäftigte des Halbleiterwerkes auffangen sollte. Nachdem die Treuhand anfangs dem beteiligten Erstausbilder die notwendigen Gebäude für einen symbolischen Mietzins überlassen wollte, fordere sie nun aus heiterem Himmel einen unbezahlbaren Quadratmeterpreis von 10 DM.

Ungelöst ist auch das Problem der Ausbildung. 26.000 Schüler wollen ab September entweder die Gymnasien besuchen oder einen Beruf erlernen. Es wird bisher mit einem Defizit von 7.500 bis 11.000 Ausbildungsplätzen gerechnet. Abhilfe erhofft sich die Landesregierung durch Förderprogramme des Arbeits- und Wirtschaftsministeriums. Danach erhalten gewerbliche und landwirtschaftliche Betriebe Unternehmen, die fünf bzw. drei Prozent ihrer Planstellen für Azubis reservieren, 75 Prozent der Ausbildungsvergütung und zusätzlich 200 Mark je Lehrling werden ausgezahlt. Bei Mädchen werden noch einmal 100 Mark draufgelegt. Die Förderung wird auch im zweiten und dritten Lehrjahr fortgesetzt. Mit der gleichen Unterstützung können Freiberufler wie Ärzte und Anwälte rechnen, wenn sie einen Ausbildungsplatz einrichten. Das Wirtschaftsministerium unterstützt zusätzlich alle Betriebe mit mehr als 20 Arbeitnehmern mit 5.000 Mark pro Ausbildungsplatz. Das größte Problem sei momentan, die Information über die Förderungen an den Adressaten zu bringen. Im Hause Hildebrandt wurde eine Programmzentrale für Struktur und Arbeit eingerichtet. Irina Grabowski