Selims faksimilierter Prachtzug

■ In der Universitätsbibliothek: Kostümbuch von 1574 zeigt osmanische Gestalten

Ein gelbes Zelt verbirgt die Braut des Sultans, ihr Pferd führt ein schwarzer Eunuch, es folgen vier reitende, tief verschleierte Frauen. Janitscharen, Derwische, geistliche und weltliche Würdenträger komplettieren den prachtvollen „Ausritt des Sultans“.

Gemalt hat das gesellschaftliche Großereignis in Istanbul der Maler Lambert de Vos im Jahr 1574. Der Bildreporter war im Osmanischen Reich unterwegs im Auftrag des aus Gent stammenden kaiserlichen Botschafters Karel Rijm. Was er sah, hat er in ein „Kostümbuch“ gepinselt, einem noch bis ins 18.Jahrhundert beliebten Genre, in dem Gestalten und Kostüme fremder Länder festgehalten wurden.

Ob Lambert de Vos alle abgebildeten Gestalten auch wirklich so gesehen hat, zumal unverhüllte Frauengestalten, oder ob er Bildvorlagen oder gar seine Phantasie zu Hilfe genommen hat, dafür möchte Armin Hetzer nicht seine Hand ins Feuer legen. Hetzer ist Leiter der Handschriftenabteilung der Staats- und Universitätsbibliothek. Dort lag das „Kostümbuch“ des Lambert de Vos bis jetzt unter Verschluß, verwahrt im Safe vor Zerstörung, aber auch vor Benutzung.

Um das aufschlußreiche „Dokument der Begegnung von Orient und Okzident“ einem breiteren Publikum zugänglich zu machen, wurde gestern ein Faksimiledruck vorgestellt. Alle 105 Tuschbilder von de Vos wurden von einer österreichischen Spezialdruckerei sorgfältig reproduziert, in streng limitierter Auflage von 480 Exemplaren, erhältlich zum günstigen Subscriptionspreis von 980 Mark, später im Laden sind dann 1.200 Mark zu zahlen.

Den wissenschaftlichen Hintergrund zu de Vos' prachtvollen Gestalten lieferte vor allem der Archäologe Rudolf Stichel von der Technischen Hochschule Darmstadt. Er fand heraus, daß neben der Bremer Ausgabe noch zwei „Schwesterstücke“ in Paris

hierhin bitte

die arabischen

Frauen

Eventuell Frauen im Bade

und Athen existieren. Es war üblich, die Kostümbücher in Serie zu produzieren. Das Original wurde vom Künstler selbst oder von Fremden in Handarbeit kopiert. Das Original hat, so vermutet Stichel, der kaiserliche Botschafter in Istanbul besessen, der das Werk auch in Auftrag gab. Einige der abgebildeten Personen sind zweifelsfrei historische Persönlichkeiten, wie der Sultan Selim, von dem es nur noch ein weiteres Bild gibt. Identifizierbar ist auch der Sohn eines italienischen Grafen (Bild 38), der gemeinsam mit seinem Vater 1573 gefangen genommen wurde. Der Vater kam im Gefängnis um, der Sohn aber konvertierte zum Islam und machte unter Selim Karriere. Für alle Europäer in Istanbul war der „teuflische Renegat“ damals eine Sehenswürdigkeit.

Potentielle Käufer des Prachtbandes sind laut Manfred Kramer von der Akademischen Druck- und Verlagsanstalt Graz in erster Linie Bibliotheken in aller Welt, aber auch Geschäftsleute, die türkische Partner mit einem wertvollen Geschenk beglücken wollen, ferner Japaner, bekannt als Liebhaber kostbarer Faksimilebände mit europäischer Kultur. asp

Bis zum 20. September zu sehen.