Ein Dreischritt unter dem Damokles

■ Andreas Ginkel in der Galerie Vinzenz Sala

Die Gedanken bleiben im Kopf, die Bilder an der Wand. Dazwischen geistern Konzepte herum, vermischen sich ab und an mit dem Geschauten oder brechen das Denken auf. Die Wahrnehmung ist schwierig, unmöglich in reflektierte Anschauung zu übersetzen. Nicht immer siegt die Vernunft über die Kunst, und selbst interesseloses Wohlgefallen will sich nicht einstellen.

Was immer das ist, was Andreas Ginkel in die Räume der wiedereröffneten Galerie Vinzenz Sala gestellt oder gehängt hat — am besten sagt man wohl positioniert —, richtig moderne Kunst will es nicht werden. Man mag sich zurecht auf die Seite eines der Mitorganisatoren stellen, der diese irgendwie gearteten Gläser als »unverständliches Zeugs« ansieht, aber »doch ganz gut« findet.

Es läßt sich beschreiben: Auf einem aus dem Chemieunterricht vertrauten Labortische stehen diverse Gläser, die mit nicht vermischenden Flüssigkeiten gefüllt sind. Man möchte staunen, aber fängt an zu denken. Darüber, daß Mischungsverhältnisse vom heutigen Standpunkt aus als das Natürliche angesehen werden. So will es die Aufklärung, in deren Denkmodell Dialektik die Synthese propagiert und in der Moderne praktiziert. Gegensätze kann man vereinen, im Konsens bereinigen, und wenn alles getan ist...

Die scheinbar friedliche Koexistenz von Aceton und Öl in den Behältern hält dagegen einen labilen, destabilen Zustand fest. Mit ein wenig gewaltsamem Schütteln ließe sich vielleicht die gewünschte Entropie herstellen. Die Hand des Künstlers hat vorsichtiger gearbeitet. Im Ungemisch schwimmen sperrige Partikel aus Alufolie, Gips und Haar. An sich sieht es häßlich aus und erregt Ekel, wie eine Fäkalbrühe. Doch die Anspielung auf eine ausgelebte Analphase weist Ginkel lächelnd zurück. Der Dreck im Glas entstammt einzig und allein der Kunstproduktion, den Materialien, mit denen Maler gewöhnlich Gehalt hervorzaubern. Da wäre schon wieder über einen Gedanken zu entscheiden, was wichtiger sei, das Material oder das Bild? Das Huhn oder das Ei?

Noch entschiedener beschäftigt den Künstler, wann sich diese Trennung überhaupt einstellt. Denn schon bei der Betrachtung der in den Gläsern festgehaltenen Ingredienzen verfälllt man der Assoziation, sich ein Kunstwerk in oder hinter dem Glas einzubilden. Damit ist die Situation alles andere als bereinigt. Ein Paradox ist zwischen Auge und dem angeschlossenen Kopf entstanden. Die Imagination füllt das Wahrgenommene mit Bedeutung auf. Einige erinnern die Flüssigkeiten an Geburt, Fruchtwasser und Ursuppe; andere an Explosionsgebilde, die nur auf den Ausbruck warten. Nichts dergleichen geschieht. Wenn das Kunst sein soll, ist sie schwer zu ertragen.

Im zweiten Raum wird das Paradox dann nicht aufgehoben, sondern noch rätselhafter verästelt. Eine ganze Wand entlang sind dort Leuchtkästen mit insgesamt 16 Dia- Serien gestaffelt. Diese Kleinbild-Dias bilden Ausschnitte der Gläser ab. In der Masse überfluten sie das Auge mit Motiven, Farbkontrasten und vermeintlichen Gegenständlichkeiten. Man hat den Eindruck, unzählige Aufnahmen submariner Landschaften zu erblicken, wie sie einem Vortrag über das Aquarium im Zoo entstammen könnten. Trotzdem ist es der gleiche Dreck von vorher, nur in einen anderen Rahmen gesetzt.

Zu guter Letzt nähert sich Andreas Ginkel mit einer großformatigen Installation den gewohnten Kunstvorstellungen an. Ein vielfach vergrößertes Dia aus der vorliegenden Serie hängt beinahe klassisch-modern an vier Klammern und wird von der Rückseite mit einem einzigen Strahler durchleuchtet. Die Transparenz, die sich damit eröffnet, führt jedoch zu keinem abschließenden Urteil.

Das Paradox läßt sich nicht aufheben noch -lösen. Im Dreischritt der Ausstellung schwebt das Problem der Repräsentation von Kunstwerken wie ein Damoklessschwert über den Objekten. Die Ausgangssituation bleibt erhalten und verschärft sich im Nachhinein. In jeder Annäherung an das Dargestellte verbirgt sich das damit eingeführte Paradox des nicht mehr verwirklichbaren, weil immer schon verwirklichten Kunstwerkes. Man mag mit der Erklärung von Andreas Ginkel vorlieb nehmen, er habe zumindet »Schmutz und Abfall recycled, nicht die eigentlichen Träger von Kunst, sondern die Dinge, die man zu deren Herstellung der Montage verwendet.« Dies zu verstehen, macht eine enorme Qualität der Ausstellung aus. Harald Fricke

Noch bis zum 29.6. in der Galerie Vinzenz Sala, Manteuffelstr. 40/41, Di, Mi, Fr 17-20, Sa 11-14 Uhr(Abb.: siehe Rückseite)