Brandanschlag zum Hauptstadt-Entscheid

■ »Revolutionäre Zellen« zündeten im Reichstag Molotow-Cocktails, die kaum Schaden anrichteten

Tiergarten. Brennende Antworten an die deutsche Geschichte: Im Reichstag explodierten gestern in den frühen Morgenstunden zwei Brandsätze. Zu dem Anschlag in den Räumen der Ausstellung »Fragen an die deutsche Geschichte« bekannten sich die »Revolutionären Zellen«. Entsprechende Bekennerschreiben gingen gestern bei den Nachrichtenagenturen ein. Darin wurde die Tat als »Entscheidungshilfe für den künftigen Regierungsssitz« bezeichnet. Der polizeiliche Staatsschutz geht von der Authentizität der Briefe aus.

Nach Auskunft der Polizei verschmorten die beiden Brandsätze, ohne Mobiliar in der Umgebung zu entzünden. Die hinter einer Eternitwand im ersten Stockwerk versteckten Molotow-Cocktails, die jeweils mit Batterieuhren als Zeitzünder versehen waren, richteten einen Sachschaden unter 10.000 Mark an — kaum mehr als ein großer Brandfleck. Die Brandsätze, so die Polizei, seien vermutlich während der regulären Öffnungszeiten der Ausstellung am Dienstag im Reichstag abgelegt worden. Die Ermittlungen der Polizei dauern noch an.

Politischer Hintergrund des Anschlags ist die am 20. Juni anstehende Entscheidung über Hauptstadt und Regierungssitz. In dem Bekennerschreiben heißt es, daß die Verlegung der Regierung nach Berlin »keine Verbesserungen für die Lebensbedingungen der BerlinerInnen« bringen werde. Die einfachen Leute würden vielmehr »aus der Stadt« ins Umland »gedrängt«. In der Innenstadt würden die Mietpreise auf ein Niveau von mehr als 25 Mark pro Quadratmeter ansteigen. Um die »zweifelhafte Ehre, wieder richtige Hauptstadt Großdeutschlands zu sein«, versuchten die Medien momentan »einen Konsens herbeizuschreiben« und den »Einheitsberliner zu konstruieren«. Das Bekennerschreiben endet mit den Worten: »Es gibt kein Ende der Geschichte — machen wir sie selbst!« Zuletzt hatten die »Revolutionären Zellen« 1990 einen Anschlag auf ein Möbelhaus verübt. kotte