»Wir kamen als Deutsche zu Deutschen«

■ General Schönbohm, Oberabwickler der Ex-NVA, referierte im Reichstag/ Bereits 70 Prozent der NVA-Offiziere gefeuert/ Keine Unruhe im NVA-Heer befüchtet: Erstaunlicher Meinungswandel

Tiergarten. Ein deutscher General im Reichstag. In Uniform! Sichtlich ergriffen begrüßte Gero Luckow, Leiter des Berliner Arbeitskreises der Deutschen Atlantischen Gesellschaft, am Donnerstag abend seinen Vortragsgast: Generalleutnant Jörg Schönbohm, Oberbefehlshaber des Bundeswehrkommandos Ost. Selbiger treibt seit dem 3. Oktober vergangenen Jahres die Abwicklung der ehemaligen Nationalen Volksarmee (NVA) voran.

»Wir kamen nicht als Sieger zu Besiegten, sondern als Deutsche zu Deutschen«, erklärte Schönbohm den etwa 150 honorigen ZuhörerInnen. Dennoch mußten bis Januar 70 Prozent der ehemals 32.000 NVA- Offiziere ihre Uniform an den Nagel hängen. »Diese Berufssoldaten waren schließlich eine verläßliche Funktionselite des Staates«, begründete Schönbohm die Massenentlassung. Außerdem habe es in der NVA im Vergleich zur Bundeswehr sehr viel mehr Offiziere gegeben.

Insgesamt 90.000 Ostsoldaten bevölkerten am 3. Oktober 1990 die DDR-Kasernen. Mitte der achtziger Jahre verfügte die NVA noch fast über die doppelte Mannschaftsstärke und galt als schlagkräftigste Vorzeigearmee des Warschauer Paktes. Heute sind davon 60.000 Barettträger übrig, Ende 1994 sollen es 50.000 sein, 4.500 davon Offiziere. Gemäß »Zwei-plus-Vier-Vertrag« muß die Bundeswehr dann auf insgesamt 370.000 Mann geschrumpft sein.

Schon jetzt würden die alten NVA-Waffensysteme in großen Lagern gehortet, um bis 1994 größtenteils eingestampft zu werden. Darunter 2.300 Kampfpanzer T54 und T55 und über 1,2 Millionen Kalaschnikows und andere Handfeuerwaffen. Der Wachaufwand sei enorm, nicht zuletzt weil die tödlichen, aber wirkungsvollen Hochspannungszäune aus verfassungsrechtlichen Gründen abgeschaltet werden mußten — sehr zum Ärgernis des Generals: »Unsere jungen Soldaten sollen sich schließlich nicht im Wachdienst verschleißen«, findet Schönbohm, der bereits als zukünftiger Staatssekretär im Verteidigungsministerium oder auch als neuer Inspekteur des Heeres gehandelt wird.

Ihr antiimperialistisches Feindbild hätten die Ex-NVAler sehr schnell abgelegt: »Ich habe DDR- Generäle mit Tränen in den Augen gesehen«, beschreibt Schönbohm die »erstaunlichen Meinungsbildungsprozesse« nach der Wende. »Dadurch, wie wir auftreten, haben wir das Feindbild ad absurdum geführt«, lobt der General sich und seine 2.000 Westkameraden.

In dem Heer der gefeuerten NVA- Offiziere ticke bislang keine Zeitbombe, glaubt Schönbohm. Wichtig sei jedoch, daß sich die wirtschaftliche Lage in den neuen Bundesländern bald merklich verbessere. Die Bundeswehr investiere dazu in diesem Jahr 490 Millionen Mark. Im Moment hätten die mittelständischen Handwerksbetriebe jedoch noch große Schwierigkeiten mit dem neuen Ausschreibungssystem. Den gesamten Investitionsbedarf für die Bundeswehr in den neuen Ländern schätzt der General auf 16,3 Milliarden Mark. Eine »Friedensdividende« sei da nicht drin. »Das Entsorgen von Munition und Panzern kostet auch Geld.« Marc Fest