»Wir wollen kein Ramstein«

■ Tempelhofer BürgerInnen protestieren gegen den Fluglärm/ 2.400 Prozent mehr Privatflüge/ Weder Lärmschutzbereich noch Fluglärmmeßanlage

Tempelhof. Rückflug in die roaring twenties: Seit der deutschen Einheit lebt Rentner Werner Gutsche im Kerosinrausch. Denn mit der Wende kamen für den Flughafen Tempelhof auch die guten alten Zeiten zurück. Die jetzt wieder geltenden luftfahrtrechtlichen Genehmigungen stammen aus den zwanziger Jahren. FünfzigMeter vor Gutsches Haus in der Oderstraße dröhnen nun die Hubschrauber des Bundesgrenzschutzes, landet die wohlbetuchte Quelle-Chefin Schickedanz mit ihrem Privatjet und startet die 'Super‘-Zeitung ihren Werbeflieger. »Bis zu einer Viertelstunde warten die Maschinen auf ihre Starterlaubnis — mit röhrenden Motoren, direkt vor meiner Haustür«, klagt der 68jährige Rentner aus Tempelhof.

Seit dem Wegfall des alliierten Sonderstatus boomt der Luftverkehr in Tempelhof: Bundeswehr, Bundesgrenzschutz, Liniengesellschaften und vor allem Besitzer von Privatmaschinen fliegen inzwischen den Militärflughafen der Amerikaner an, die erst 1994 ihren endgültigen Abflug machen müssen. Im März des vergangenen Jahres landeten und starteten 637 Flugzeuge, darunter 42 Privatflieger, auf dem »Flughafen direkt im Herzen Berlins«, wie eine Fluglinie wirbt. Im gleichen Zeitraum ein Jahr darauf verursachten 2.617 Starts und Landungen, davon 1.016 private Flüge, eine erhebliche Zunahme an Lärm im Tempelhofer Luftraum.

Anne Schmidt von der »Bürgerinitiative Flughafen Tempelhof« fürchtet inzwischen um die »körperliche Unversehrtheit« der lärmgeplagten Anwohner. Stellvertretend für die Bürgerinitiative engagierte sie daher den Rechtsanwalt Klaus- Martin Groth, ehemaliger Staatssekretär von Ex-Umweltsenatorin Michaele Schreyer. In einem Antrag an den zuständigen Bundesverkehrsminister Krause (CDU) verlangt Groth, den Fluglärm auf das Maß von 1990 zu reduzieren.

Doch noch fehlen den Fluglärmgegnern sichere Zahlen: Da für den Flughafen Tempelhof kein Lärmschutzbereich existiert, gibt es auch keine Fluglärmmeßanlage. Die Berliner Flughafengesellschaft hat inzwischen zugesichert, ein Meßnetz zu installieren.

Auf einer Versammlung der Bürgerinitiative forderte Dieter Nöthlich, Kreisdelegierter der Neuköllner SPD, den Flughafen Tempelhof so schnell wie möglich zu schließen. Die Neuköllner Sozialdemokraten möchten das 40 Hektar große Areal am liebsten zu jeweils einem Drittel mit Parkanlagen, Wohnungen und Gewerbeeinrichtungen bebauen. Der Bezirksverordnete Bernd Golm (CDU) verwies auf die überlasteten Flughäfen Tegel und Schönefeld. Der Flughafen Tempelhof könne erst dann geschlossen werden, wenn der für das nächste Jahrtausend geplante Großflughafen im Süden Berlins einsatzbereit sei.

»Wir wären ja schon froh, wenn die Privatjets und Hubschrauber nicht mehr fliegen würden«, meint Annette Metzner von der BI Flughafen Tempelhof. Einmal sei ein herrenloses Antennenteil in sein Wohnzimmerfenster eingeschlagen, erinnert sich Rentner Gutsche mit Schaudern. Seine Meinung: »Ein Flughafen hat mitten in der Stadt nichts zu suchen. Wir wollen kein Ramstein hier.« Marc Fest