Neues „Schnittmuster“ für den Dienst am Bürger

Im Land Brandenburg triumphiert der zweistufige Verwaltungsaufbau/ Die 44 Kreise und 1.787 Gemeinden wollen keine „Zwangsehe“  ■ Von Irina Grabowski

Potsdam. Brandenburgs Innenminister Alwin Ziel hat ein Lieblingskind: die Kreisgebietsreform. Als er vor einigen Wochen seinen detaillierten Plan zur Neuordnung der Landkreise in die Debatte warf, bekam Ziel mächtige Schelte von den Landräten und Bürgermeistern. Und dennoch: Diese Reform ist seine Sache. Darin kennt sich der „Ossi“-Minister, dessen Behörde in den oberen Etagen vornehmlich aus der „Kaderreserve“ Nordrhein-Westfalens bestückt wurde, besser aus als beispielsweise im leidigen Polizeigeschäft.

Verwaltungslöcher im ländlich verdünnten Raum?

Schon in der Koalitionsvereinbarung war der zweistufige Verwaltungsaufbau — übrigens ein Essential im Programm des kleinen Regierungspartners Bündnis 90 — für das Land Brandenburg festgeschrieben worden. Den Ministerien als den „oberen“ Landesbehörden sollen auf der bürgernahen unteren Ebene verwaltungsstarke Landratsämter und Gemeindeverwaltungen gegenüberstehen. Die Bezirksverwaltungsbehörden, die Nachfolger der Räte der Bezirke sind, sollen als Zwischeninstanzen verschwinden. Sie sind weder demokratisch legitimiert, noch parlamentarisch kontrolliert.

Das große Vorbild Nordrhein- Westfalen, das im Partnerland Brandenburg mindestens zwei Füße in der Tür hat, wurde beiseite geschoben. Die Orientierung gibt Schleswig- Holstein, das mit „ländlich verdünnten Räumen“ in seiner Struktur Brandenburg gleicht. Festgeklopft wurde dort die Zweistufigkeit übrigens noch von der CDU-Regierung, weit vor dem Amtsantritt Björn Engholms. Die christdemokratischen Parteifreunde in Brandenburg dagegen sitzen schmollend auf der Oppositionsbank und prophezeien ein gigantisches Verwaltungsloch.

In welchem Zeitraum das Wirrwarr der 44 Landkreise zu 13 Großkreisen verschmolzen werden soll, darüber gibt es auch in der Ampelkoalition Unstimmigkeiten. Die FDP und Bündnis 90 würden den ganzen Prozeß am liebsten schon 1992 mit kommunalen Neuwahlen abschließen. Innenminister Ziel will Aufgaben, zum Beipiel des Umweltschutzes, die bisher noch in den Ministerien liegenbleiben, so schnell wie möglich nach unten in die Selbstverwaltung abgeben.

Doch er hat den Landräten versprochen, sie nicht schon vor Ende der Legislaturperiode 1994 aus den Sesseln zu heben. Wenn, wie vorgesehen, einer der bisherigen Kreishäuptlinge per Verordnung als „Vorortlandrat“ im zukünftigen Großkreis eingesetzt und in einer Übergangszeit „staatliche“ Aufgaben übernehmen wird, dann tut er dies freischwebend am Votum der Wählerschaft vorbei. Soll doch vorzeitig neuwählen, wer will, tritt Manfred Stolpe wieder mal als Schlichter auf.

Der Plan des Ministers ist kein Dogma

Einige Landräte monieren die unvornehme Hast. Landrat Müller aus Luckau etwa versteht überhaupt nicht, warum die Landesregierung das Modell zur allgemeinen Fusion aus dem „Ausland“ holt, statt sich an der alten preußischen Verwaltung und kreislichen Verwaltungsgemeinschaften zu orientieren. Aber die Bürgermeister einiger Kreisstädte plädieren für eine zügige Reform, weil ihnen die Kreisverwaltungen als altlastige Strukturen permanent in die Stadtpolitik hineindirigieren und Geld verschlingen würden, das in den Kommunen besser angelegt werden könne.

Die schlauen Landräte von Oranienburg und Bernau machen von sich aus Druck. Sie wollen ihre Wunschpartnerschaft durch gemeinsame Ämter besiegeln, noch bevor ihnen das Innenministerium von oben eine Zwangsehe überhilft. Sein Vorschlag für neue Großkreise sei doch nur einer unter vielen, wehrt Minister Ziel seinerseits kokett den Vorwurf allmächtiger Entscheidungen ab. Er könne sich auch ein anderes „Schnittmuster“ vorstellen. Doch das Bildungsressort etwa zurrt bereits die Kreisschulämter nach dem Zielschen Modell fest. Eingreifen wird der Minister dort, wo schwächliche Gebiete von den reicheren Nachbarn einfach links liegengelassen werden.

Kein hauptamtlicher Bürgermeister für jedes Kleckerdorf

Auch die 1.787 Brandenburgischen Gemeinden müssen neu sortiert werden. Nach dem jetzt vorliegenden Entwurf der Ämterverfassung sollen mindestens fünf Gemeinden mit 5.000 Einwohnern ihre Selbstverwaltungsaufgaben in einer gemeinsamen Verwaltung, dem sogenannten Amt, erledigen. Mit dem Lineal auf der Landkarte und der Hand am Taschenrechner hatten die Abteilungsleiter im Ministerium ermittelt, daß diese Variante einen effizienten Dienst am Bürger und zumutbare Wege zur Behörde sichert. Die Bürgermeister der vereinten Gemeinden würden als nunmehr ehrenamtliche Mitglieder des Amtsausschusses alle wichtigen Entscheidungen treffen und den hauptamtlichen Oberbürgermeister wählen. Die einzelnen Gemeinden behalten die politische Verantwortung und damit das letzte Wort.

Daß sich nicht jedes Kleckerdorf einen Bürgermeister leisten kann, haben die Kommunalmatadoren vielerorts bereits selbst erkannt. Noch bevor irgend ein Landesminister seine strukturpolitischen Netze auswerfen konnte, haben sich einige Kommunen — meistens mit insgesamt nicht mehr als 2.000 Einwohnern — zu Verwaltungsgemeinschaften zusammengeschlossen. Ihre Forderung an den Minister: Das Prinzip der Freiwilligkeit solle auch in Zukunft gewahrt bleiben.

Ministerialbeamte wollen sich nicht an Eckzahlen festbeißen

Die Ministerialbeamten halten den Bürgermeistern westliche Erfahrungen vor: Drei kommunale Verwaltungsangestellte pro 1.000 Einwohner seien bezahlbar und keiner mehr. Doch während die Bürgermeister in Schleswig-Holstein während der Sprechstunde, überspitzt gesagt, in der Kaffeetasse rühren können, stapeln sich in den brandenburgischen Gemeinden die Vermögens-, Sozialhilfe- und sonstigen Anträge, stehen die Menschen Schlange. Alle Bestimmungen der komplizierten Mischung aus Bundesgesetzen und Sonderregelungen à la Einigungsvertrag wollen auf einmal berücksichtigt sein. Das Ministerium in Potsdam will dann auch bei der Ämterbildung die nötige Flexibilität zeigen und sich nicht an der zunächst vorgegebenen Einwohnerzahl und Flächengröße festbeißen.

Ein Problem sind die Gemeinden, die sich über die Grenzen der neuen Großkreise hinaus verwaltungstechnisch vereinen wollen. Darüber wird im Ministerium heftig nachgesonnen. Unklar ist außerdem, wo die arbeitslosen Bürgermeister unterkommen sollen.

Den Amts- und Oberbürgermeistern, den Landräten und ihren Dezernenten, die zu Wahlbeamten gekürt werden, sind die Bezüge auch in Zukunft sicher. Bis zum 15.Juni sollen die Beschwerden und Vorschläge der Gemeinden zur Ämterverfassung gesammelt werden. Im Oktober dieses Jahres, so hofft Minister Ziel, könnte zunächst die Ämterverfassung in Kraft treten. Das Gesetz über die Kreisreform will er zum Sommer 1992 nachschieben.