FÜRMENSCHENMITHIVUNDAIDS

POSITEIDONSCHWIMMGRUPPE:  ■  MIT DEM VIRUS PLANSCHEN

Schon zu Kaisers Zeiten trafen sich homosexuelle Männer gerne im Alten Stadtbad in der Charlottenburger Krummen Straße. An den Nacktbadetagen herrscht noch heute viel Betrieb. Erst als vor einem Jahr HIV-positive und aidskranke Schwule einen zusätzlichen Exklusivbadetag begehrten, wurde es den Politikern zuviel: Die bereits erteilte Genehmigung für die Gruppe »Positeidon« zog CDU- Sportstadtrat Axel Rabbach wieder zurück. »Personen mit ansteckenden und Anstoß erregenden Krankheiten ist der Besuch öffentlicher Schwimmbäder untersagt«, zitierte er die Bäderordnung und stärkte damit den Bademeistern des Stadtbads den Rücken. Trotz zweier Aufklärungsworkshops wollten die partout nicht glauben, daß der HIV-Virus nicht beim gemeinsamen Planschen übertragen werden kann. Zum Erfolg verhalf erst ein spektakuläres Protestschwimmen mit Stadträtinnen von SPD und AL und Ex-First Lady Anne Momper. Seither darf »Positeidon« jeden Dienstagnachmittag für eine Stunde ins Alte Stadtbad hinein.

Ein Jahr nach dem Badeverbot haben sich die Fronten beruhigt. Rund zehn Leute treffen sich jede Woche in der Krummen Straße, erzählt »Positeidon«-Mitinitiator Napoleon Seyfahrt-Hermann. Der Sponti der Positivenbewegung glaubt, daß das Verbot Rabbachs der Gruppe und Sache insgesamt nur genutzt hat. »Endlich hat es wieder einen Grund für eine Aktion gegeben«. Protest, Happening und Medienöffentlichkeit lockten anfangs viele Neugierige an, mittlerweile ist das Interesse wieder abgeflaut. Zwei von den Gründungsmitgliedern sind zudem gestorben.

Mit der Rolle des armen Kranken, Bemitleidenswerten und Sterbenstraurigen wollen sich die Positeidon-Schwimmer aber nicht anfreunden. Das positive Testergebnis oder die erste Lungenentzündung, lacht Napoleon, verhinderten noch lange keine positive Einstellung zum Leben. Dennoch bleibt die wöchentliche Badestunde eine Oase gerade für an Aids Erkrankte: Stark abgemagerte und geschwächte Menschen trauen sich zu den regulären Öffnungszeiten nicht ins überfüllte Bad hinein. »Dieser Gruppentermin ist in Berlin einzigartig und unbedingt zu erhalten«, meint deshalb auch Thomas Schröder von der Berliner Aids-Hilfe, der anfangs selbst mitplanschte. »Nach dem Abtrocknen«, erinnert er sich, »sitzt man noch lange im Schwimmbadcafé zusammen« — zum gemütlichen Klönen und ungezwungenem Kennenlernen.

Das Verhältnis zu den Bademeistern beschreibt Napoleon heute als »optimal«: Beständiges Kennenlernen überzeugte das Badepersonal sogar, freiwillig die virulente Dienstagsschicht zu übernehmen. »Wir reden miteinander, wir haben uns aneinander gewöhnt«, triumphieren beide Seiten. Um so erstaunlicher dann allerdings, daß das Bäderamt noch immer anordnet, das Beckenwasser nach jedem Positeidon-Besuch frisch zu desinfizieren. »Sicher ist sicher«, war dazu aus der unverbesserlichen Verwaltungsetage zu erfahren: »Können Sie denn alles ausschließen?« Micha Schulze

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