Gosse und Gott

■ Hubert Selby las in der Passionskirche

I can't stand pain, sagt Hubert Selby in der kurzen Pause zwischen zwei Geschichten. Mit so dünner Stimme gesprochen, klingt das fast wie ein verschämtes Eingeständnis, aber für den Schriftsteller ist es wohl eher eine Klarstellung. Merkwürdig klingt dieser Satz auf jeden Fall — aus dem Munde von einem, der sechs Jahre lang an einem der gewalttätigsten Bücher geschrieben hat, das je erschienen ist.

Als der Autor 1964 Last Exit to Brooklyn veröffentlichte, geriet die amerikanische Literaturwelt in Aufruhr. »Wie besessen« hätte da einer Leben und Sterben in der Gosse abgehandelt, einige Kritiker gingen soweit, öffentlich ihr Geld auf Selby als die obszöne, brutale und glorreiche Zukunft der US-Literatur zu setzen.

»Ich wollte den Horror einer lieblosen Welt einfangen«, sagte Hubert Selby damals, er wolle »den Leser mit Wahrheit überwältigen«. Doch die Zeiten haben sich geändert. Die Kurzgeschichten, die er in der Passionskirche vorliest, klingen oft wie Meditationen — nicht mehr die Außenwelt ist für Selby wichtig, er bewegt sich in der Welt der Gefühle. Die meisten der vorgetragenen Texte sind autobiographisch: Zueignungen an die Frau, den Vater oder den Sohn. Selbys energiegeladene, tabulose Sprache ist einem schwärmerischen und melancholischen Tonfall gewichen. Neben shit und fuck steht jetzt rejoice — die Freude. Was ihn jetzt überwältigt, ist nicht mehr Haß und Gewalt, sondern die Schönheit der Welt, wie bei der Schilderung eines Tages mit seinem Sohn Billy: Once again I was overwhelmed with his love and the beauty of the world.

Dazu kommt kaum eine Geschichte ohne religiöses Pathos aus, Selbys Leben scheint inzwischen vor allem einer zu bestimmen: God. God bless you geht an Pa. Zur Widmung May the love of god be always with you an seine Frau stimmt der schmalschultrige Mann unter dem Jesuskreuz sogar ein kleines Gebet an und legt die Hände zusammen.

Mit der schriftstellerischen Karriere von Selby ging es seit Last Exit ständig bergab, vielleicht liegt es daran, daß er sich mit dem Buch aus seiner selbstzerstörerischen Phase herausgearbeitet hat. Oder wie er formuliert: No, god, no, there is no forgiveness for you. But I'll forgive the demons.Hannes Klug