Jesus nochmal gekreuzigt

Brumlik über Franz Alt über das Jesu-Kind  ■ Von Mathias Bröckers

Unvergessen, weil schwerlich wiederholungsfähig, der Augenblick, wie er nur alle Jahre einmal, dieses vollständig entblößend, im Fernsehen passiert: Da der Dr. Franz Alt im Zuge seiner kritisch-humanistisch sich spreizenden SWF-,Report‘-Sendung mit edel- pfadfinderhafter Engagiertheitsmiene (sprich: Wir Christen und Christdemokraten sind unter Umständen durchaus zurechnungsfähig) und einnehmenden Überleitungsworten einen Filmbeitrag ansagte; worauf aber wegen irgendeiner Regiestörung ebendieser nicht kam; sondern unvermutet ging die Kamera deshalb auf den Moderator zurück, der soeben, sich unbemerkt wähnend, mit mindestens sieben Extremitäten und verdrehten Augen in alle Richtungen fuchtelte — dann aber, nach circa drei Schrecksekunden sich mit Gewalt und kurzentschlossen abermals ein kritisch-nachdenkliches Bonitätsgesicht zurechtrückte; wobei dann freilich noch minutenlang die Beklommenheit des in der rüden Nacktheit Entlarvten wie eine kafkaisch ewige Erbsünde nachzitterte. (...) Mit seiner ,Report‘- Moderation erfüllt Dr. Franz Alt mehrere Funktionen zugleich. Fürs Fernsehen ist er so etwas wie der ungeliebte Beweis, daß das Fernsehen doch nicht komplett reaktionär sei. Für die CDU, Alts Partei, läuft's ähnlich: Ecce homo, schaut, unser unerschrockener Linksaußen! Und auf Alts eigene Psyche hat diese Doppelfunktion scheint's stark abgefärbt. Seine ,semiotische‘ Botschaft ist die eines Mutigen und Unerschrockenen, der im Lauf der Jahre und irregeleitet durch seine branchentypischen Wichtigkeitsgefühle, welche ihm auch seine Bucherfolge Frieden ist möglich und Liebe ist möglich auferlegten, fast selber schon dran glaubt. Das ebenso Klassenprimusmäßige wie Missionarische, das er allzeit drauf hat und das von ihm zuweilen als Märtyrerimago des löwenzwingenden Daniel in der christlichen Mördergrube abstrahlt: Bei Zuschauern vermag es starke Idiosynkrasien zu wecken. Zumal dann, wenn man mit Dr. Alt weiß oder ahnt, wie dankbar man im Rahmen der allgemeinen und reißenden Fernsehverdummung selbst für ihn und ähnlich kritisch chargierende Charakterköpfe leider zu sein hat.“

Eckhard Henscheids Porträt, 1986 in der taz-Serie „TV-Zombies“ (und später im gleichnamigen Sammelband) erschienen, verdient es, so ausführlich zitiert zu werden. Nicht nur, weil's einfach so schön ist, sondern weil es schlicht immer noch stimmt. Henscheid ließ seine Ausführungen über Alt seinerzeit mit einem bangen „Es wird ihm doch, mit Karl Valentin zu fragen, nichts passiert sein?“ enden — mittlerweile ist ihm was passiert.

Alt hat ein weiteres Erfolgsbuch geschrieben (Jesus, der erste neue Mann, Auflage 200.000), und das ist einem Pädagogikprofessor in die Hände gefallen. Mit einem für den ethisch-moralischen Klassenprimus wahrhaft vernichtenden Ergebnis: „Ein durch und durch antisemitisches Buch“, befand Micha Brumlik, Ex-Stadtverordneter der Frankfurter Grünen und Dozent an der Universität Heidelberg. Seine Argumente hat er jetzt zu einem „Anti- Alt“ gebündelt. Brumlik macht die Vorwürfe vor allem an der Rolle fest, die Alt in seiner Jesus-Geschichte den orthodoxen Juden, namentlich den Pharisäern, zukommen läßt. Diese schildert Alt als unbarmherzige Träger einer überkommenen „Gesetzesreligion“, gegen die sich Jesus auflehnt — nicht nur als neuer Mann, sondern auch mit einem neuen, nicht mehr patriarchalisch- strafenden, sondern weiblich-sanften Gott. Dafür, daß er den Rachegott des Judentums „überwunden“ hat, bringen die üblen Pharisäer Jesus vor Gericht. Die Pharisäer und damit, so Brumlik, die Juden schlechthin, „sind für Alt der Inbegriff dessen, was er als eine ,zu überwindende‘ Männerethik ansieht“. Tatsächlich klingt die Bibel-Lesart des „Report“-Moderators — der „Softie“ und Nicht-Mehr-Jude Jesus gegen die autoritären pharisäischen Patriarchen — wie eine modisch feminisierte Neuauflage des traditionellen Antijudaismus, der Parole vom christusmordenden Juden: „Jesus wurde nicht wegen der ,Sünden der Menschheit‘ ans Kreuz geschlagen, wie ich noch im Religionsunterricht lernen mußte, sondern wegen der Dummheit, Hartherzigkeit und Gesetzestreue des religiösen und politischen Patriarchats.“ Alt verdankt diese neue Einsicht Autorinnen wie Christa Mulack und Hanna Wolff, Vertreterinnen eines christlich-feministischen Fundamentalismus, über deren Bücher Bettina Decke 1987 in der taz schrieb: „Ein Sündenbockdenken tritt uns entgegen, das mühelos Jahrtausende zusammenrafft und überall einen gigantischen Kampf beschwört, der von einer bösen Macht gegen eine gute Kraft geführt wird: ,jüdisch‘ gegen ,arisch‘, ,patriarchal-jüdisch‘ gegen ,matriarchal‘, der ,krankmachende Einfluß des jüdischen Gottesbildes‘ gegen das ,original jesuanische‘ Gottesbild. Aus der gegenwärtigen Krise ist dieser Fundamentalismus ein naheliegender wohlfeiler Sturzflug.“

Franz Alt hat diesen Sturzflug musterschülerhaft vollzogen, sein „neuer Mann“ Jesus steht und fällt mit dem Buhmann, der dem orthodoxen Judentum, seinem Rachegott und seinen rigiden Patriarchen zugeschoben wird. Brumlik zeigt dagegen, daß der angeblich original jesuanische Liebesgott sehr wohl auch schon im Alten Testament anwesend ist; daß von einer starren, reaktionären Gesetzesreligion, wie Alt sie darstellt, historisch nicht die Rede sein kann, und daß der Wander- und Wunder-Rabbi Jesus sich Zeit seines Lebens durchaus als Jude verstand. Eine Position im übrigen, wie sie mittlerweile auch im Vatikan der aktuellen Lehrmeinung entspricht, und hinter die der unerschrockene Jesus- Reformer Alt weit zurückfällt — auf das Niveau der alten anti-judaischen Kirchenväter. Wie konnte dem guten Menschen aus Untergrombach so etwas passieren? War es schlampige theologische und historische Recherche, war es das Konglomerat aus halb-verdauten Lesefrüchten vom Feminismus bis C.G. Jung, war es die liebe Not, weil die Welt einfach mal wieder mit 180 Seiten gerettet werden mußte? Für Brumlik ist es eine „spezifische Pathologie“, die hinter allem steckt, das Krankheitsbild einer „ekklesiogenen Neurose, einer kirchlich induzierten Sexualfeindschaft, die der Patient selbst zu überwinden noch nicht die Kraft hat“. „Technisch gesprochen bearbeitet Sachbuchautor Alt all seine Schwierigkeiten mit einem Ich-Ideal — einer gottähnlichen, allmächtigen Gestalt. (...) Klinisch betrachtet, können wir Alts Trilogie ... als ebenso instruktives wie betrübliches Beispiel einer gescheiterten Therapie in den Fängen eines Medienverbunds lesen.“

Der Friedenspfadfinder und Freund aller Frauen und Kinder also ein verkappter Irrer? Jetzt war der Kelch fällig, dessen Vorübergehen ich eigentlich erhofft hatte: Ich mußte ein Buch von Franz Alt lesen. Prompt stehen die Antipoden im Buchladen einträglich nebeneinander — wie jede „Anti-Bewegung“ (einschließlich des Antisemitismus) hat auch der „Anti-Alt“ den paradoxen Effekt, die Gegenseite zu stärken, in diesem Fall die Einnahmen von Franz Alt. Zwecks Vermeidung von Schneeballeffekten deshalb der Hinweis, daß in Brumliks Alt-Exegese korrekt zitiert wird, und eine dringliche Warnung, die Tu-Gut-Attitüde, das Pro-Bono-Pathos dieses Jesus-Buchs sind von einer regelrecht erschlagenden Penetranz. Die Idiosynkrasien, welche die kritisch- nachdenkliche Engagiertheitsmiene des TV-Moderators Alt zu wecken imstande ist, sie sind geradewegs nichts, verglichen mit der Pein, die der kritisch-nachdenkliche Schreibstil des Buchautors Alt zu bereiten vermag. Ein Gestus, eine „semiotische Botschaft“, hinter deren Wucht alle inhaltlichen Unsäglichkeiten verschwinden, selbst das Wasser, das Alts Missionswut auf antisemitische Gebetsmühlen gibt. „Jesus — die geistige Atombombe“, „Vertrauen — die seelische Kernernergie“ — was schon das Kapitelverzeichnis an Metaphernwahn und plumpen Polarisierungen verspricht, bietet der Text bis zur letzten Seite: polit-religiösen Kitsch in einer Reinkultur, die ich bis dato für ausgestorben gehalten hatte. Von nichts, außer von den 197 dräuenden Weltübeln von Abtreibung bis Atomtod, scheint dieser Autor irgendeine rechte Ahnung zu haben, weder von einem historischen, noch von einem „anderen“ Jesus; überall — Frauenbewegung, Alternativszene, New Age — hat er mal jesusmäßig reingeschnuppert und daraus, die Nase am Zeitgeist, seinen „anima-integrierten“ Neo-Heiland zusammengestrickt. Eine dilettantische Bastelarbeit, für die der Vorwurf „antisemitisch“ schon viel zu differenziert scheint — Alts pseudo-spirituelles Traktat beleidigt außer dem jüdischen namentlich jeden Gott und Geist, der je in einem Hirnkastl wehte.

Nun sind auch Brumlik weder „intellektuelles Banausentum und Halbbildung“ noch die geistverlassenen Einschläge der Altschen Nuklear- Metaphorik entgangen — daß er dennoch nahezu auschließlich das Totschlagargument Nr.1 bemüht, den Antisemitismusvorwurf, mindert den Wert dieses notwendigen Pamphlets. „In der Tat, wo diese — die Altsche Liebespredigt — hinfällt, da wächst kein Gras mehr“, resümiert Brumlik die „zerstörerische Wut“ hinter Alts friedfertigem Werk Die wütend geschwungene Antisemitismus-Keule allerdings hinterläßt ein Feld, auf dem ebenfalls kaum Wachstum zu erwarten ist. Außer der Fortsetzung einer zwischen Urvater Abraham und den neuesten „Patriots“ heillos verfahrenen Debatte, für deren lukrativen Leerlauf Eike Geisel das Motto „There's no business like Shoa business“ prägte.

„Wenn der Erfolg von Alts Buch eines beweist, dann doch eben, daß der Glaube an die Erlösung durch einen jüdischen Gott für viele Deutsche nach wie vor unerträglich ist.“ Diese Schlußfolgerung Brumliks zeigt die der Beschränkheit der bloß „anti-antisemitischen“ Perspektive. Alts Buch wird wohl weniger gekauft, weil den Deutschen ein jüdischer Gott unerträglich wäre, sondern eher, weil ihnen jedweder Gott abhanden gekommen ist. Nur daraus läßt sich die Nachfrage nach einem neuen, anderen Jesus erklären. Nicht das Schimpfen auf den finsteren Jahwe, das Schwadronieren vom jesuanischen Androgyn treibt Alt die Leser und vor allem Leserinnen zu. Eine erweiterte Alt-Kritik hätte also nicht nur auf den katastrophalen Sündenbock dieser Heiligen-Legende zu verweisen, sondern darüber hinaus dem altistisch verzerrten Jesus einen historisch-aktuellen und theologisch-undogmatisch gesicherten entgegenzusetzen. Doch dazu weiß auch der „Anti-Alt“ nichts Neues.

Franz Alt hat das Jesu-Kind mit dem Bad augeschüttet und sich als Weltenretter fürs nächste Millenium disqualifiziert. Wie konnte das passieren? Eine Synchronizität, an der C.G. Jung weitaus mehr Freude als an seinem frommen Verwurster Franz Alt gehabt haben dürfte, spülte den gar nicht jesus-mäßigen Seitensprung (mit Zwillingsfolgen), den Ehemann Alt schon vor Jahren hingelegt hatte, zeitgleich mit dem Erscheinen des „Anti-Alts“ in einer mehrteiligen 'Bild‘-Story nach oben. Eine belanglose Klatschstory, die aber den grotesken Haß eines eingetragenen CDU-Mitglieds auf „alle Gesetzesreligionen“ schlagartig klärt. Auch daß ihm vor allem die mosaische ein Dorn im Auge ist, wundert nicht mehr, wenn man eine (vermutlich vom „jüdischen Patriarchat“ lange unterdrückte) Variante der Moses-Geschichte berücksichtigt. Danach sollen der Erteilung der Gebote zähe Kompromiß-Verhandlungen vorangegangen sein. Als Moses nach der letzten Sitzung hinter dem Dornbusch zu seinen Leuten zurückkam, fragten sie ihn begierig, wie es denn gelaufen sei. „Ich konnte ihn auf zehn runterhandeln“, antwortete Moses, „aber Ehebruch ist drin geblieben.“

Franz Alt: Jesus — der erste neue Mann .Piper Verlag. Micha Brumlik: Der Anti-Alt. Wider die furchtbare Friedfertigkeit . Eichborn- Verlag, 124 Seiten, 18 Mark