Irak stimmt UN-Hilfsmaßnahmen für Kurden zu

■ UNO sucht nach einer Rolle in Kurdistan

Perez de Cuellar ist sauer. Nach Angaben engster MitarbeiterInnen äußerte sich der zur Zeit in Paris weilende UNO-Generalsekretär am Mittwoch im internen Kreis äußerst kritisch und ablehnend zu der von US-Präsident George Bush verkündeten Entsendung amerikanischer, britischer und französischer Soldaten, die im Nordirak Flüchtlingslager für die Kurden einrichten und sichern sollen. Er fühle sich und die UNO von den Vereinigten Staaten unter Druck gesetzt und vor vollendete Tatsachen gestellt. Öffentlich begnügte sich Perez de Cuellar zunächst mit der Feststellung, daß nach seiner Ansicht die irakische Regierung erst ihre Zustimmung zu diesen Maßnahmen geben müsse. Außerdem erklärte er, ein UN-Truppeneinsatz setze einen entsprechenden Beschluß des Sicherheitsrates voraus.

Gerade weil ein solcher Beschluß wegen eines sicheren Vetos Chinas und des höchstwahrscheinlichen Neins der UdSSR nicht realistisch ist, sind die jetzt von Washington, London und Paris ergriffenen Maßnahmen richtig und notwendig, um das Massensterben der Kurden zu beenden.

Bushs Berufung auf Resolution 688 des UN-Sicherheitsrates macht deutlich, daß sie keine grundsätzliche „Wende“ in der US-Politik gegenüber der Region bedeuten, sondern lediglich wegen der wachsenden innen- und außenpolitischen Kritik an Washington erfolgen. Resolution 688, in der die zu Flüchtlingsströmen führende Verfolgung der Kurden und Schiiten als „Bedrohung von Sicherheit und Frieden in der Region“ gewertet und Bagdad aufgefordert wird, den internationalen Hilfsorganisationen ungehinderten Zugang zu den Flüchtlingen zu gewähren, wurde bereits am 6. April verabschiedet. Wären die jetzt ergriffenen Maßnahmen sofort nach dem 6. April erfolgt, hätten wahrscheinlich viele tausend Kurden vor dem Verhungern und Erfrieren bewahrt werden können.

Die in weiten Kreisen der UNO geteilte Verärgerung ihres Generalsekretärs über Washington hat sich seit Herbst letzten Jahres angestaut. Damals setzte die Bush-Administration mit zum Teil massivem Druck die Resolutionen gegen den Irak durch und verhinderte zugleich, daß die UNO dann auch Kontrolle und Kommando über die militärischen Maßnahmen gegen das Land erhielt. Im UNO-Generalsekretariat wird es inzwischen auch als entscheidender Fehler bewertet, daß sich der Sicherheitsrat die Kompetenz, Wirkung und Erfolg des von ihm beschlossenen Wirtschaftsembargos gegen den Irak zu beurteilen, von der Administration aus der Hand nehmen ließ. Seine jetzige Kritik an Washington kommt viel zu spät, ist angesichts der veränderten Umstände falsch und wirkt hilflos. Das gilt auch für seine Ansicht, die Verfolger und Mörder der Kurden müßten den jetzt ergriffenen Schutzmaßnahmen für ihre Opfer erst zustimmen. In diesen Äußerungen wird deutlich, welche Schwächung die UNO und mit ihr die Institution ihres Generalsekretärs in Folge des Golfkrieges erfahren hat. Es ist auch bislang nicht ersichtlich, wieso die Einrichtung und Sicherung von Flüchtlingslagern durch amerikanische, britische und französische Soldaten die humanitären Maßnahmen „behindern“ (Iraks Außenminister), die Perez de Cuellars Sonderbeauftragter Aga Khan und Bagdad gestern vereinbart haben.

Mit seinem Hinweis, die Verwaltung und Sicherung dieser Flüchtlingslager durch UNO-Personal erfordere einen Beschluß des Sicherheitsrates, hat Perez de Cuellar allerdings ein Problem angedeutet. Washington, Paris und London streben die Unterstellung der Lager unter UNO-Verantwortung so bald wie möglich an. Die wollen ihre 3.000 Soldaten „spätestens“ in zwei Monaten zurückziehen. Es gibt jedoch keine Indizien dafür, daß die Sicherheitsratsmitglieder China und Sowjetunion ihre Position demnächst ändern.

Weil sie nicht darauf vertrauen, daß Amerikaner, Engländer und Franzosen so lange bleiben, wie der Schutz gegen Saddam Hussein Soldaten das erfordert, haben kurdische Flüchtlinge in der gebirgigen Grenzregion zur Türkei gestern bereits erklärt, sie würden nicht in die Flüchtlingslager umsiedeln. Doch selbst wenn die Lager eines Tages der UNO unterstellt werden sollten, die Erklärungen der drei Westmächte, die Flüchtlingslager sollten „kein Dauerzustand“ werden, und ihre Erwartung, daß die Kurden in nicht allzu ferner Zeit freiwillig in ihre angestammten Siedlungsgebiete zurückkehren, stoßen in Kreisen der UNO und bei ihren humanitären Organisationen auf große Skepsis. Denn dies setzte das Einverständnis und deutliche vertrauensbildende Schritte der Regierung in Bagdad voraus.

Eine Unterstützung für die jetzt ergriffenen Maßnahmen widerlegt nicht diejenigen, die während des Golfkrieges für einen frühzeitigen Waffenstillstand eintraten. Die Vereinigten Staaten beendeten den Krieg, weil ein geschwächter Saddam Hussein der Bush-Administration als das geringere, kalkulierbarere Übel erschien im Vergleich zu einem „libanonisierten“ Irak. Das Schicksal der Kurden war Washington damals so egal wie heute. Andreas Zumach, Genf