Die Gentechnik bringt noch nicht das große Geld

Neue Industrie erwartet Konsolidierung in den 90er Jahren: Weichen oder Wachsen/ Nebenwirkungen erschweren die Vermarktung der Medikamente  ■ Von Ute Sprenger

„Genentech steigt vom hohen Roß herab“, spottete das Wirtschaftsmagazin 'Business-Week‘ über das bislang erfolgreichste US-amerikanische Biotechnikunternehmen. Denn Genentech, bekannt für seine Arroganz, zeigt neuerdings Interesse an einer Zusammenarbeit mit anderen Unternehmen aus der Arzneimittelbranche.

Die meisten, über 60 Prozent, der BioTech-Firmen arbeiten mit weniger als 50 MitarbeiterInnen (über 60 Prozent). Vertragsforschung, Forschungskooperation oder Auftragsproduktion sind für sie bedeutende Einkommensquellen. Das renommierte kalifornische BioTech-Unternehmen Genentech legte bis vor kurzem keinen gesteigerten Wert auf Kooperationen in diesen Bereichen und bestand auf Unabhängigkeit. Mit 1.800 MitarbeiterInnen und spezialisiert auf die Entwicklung gentechnisch hergestellter Medikamente wie Insulin, Interferon oder Activase (TPA), ein Mittel, das Blutgerinnsel auflöst, hatte das weltweit größte Unternehmen in diesem jungen Industriezweig sich seit der Gründung 1976 seine Eigenständigkeit bewahren können.

Ende 1989 allerdings mußte das Flaggschiff der BioTech-Industrie doch in den sauren Apfel beißen und nach kapitalkräftigen Kooperationspartnern suchen. Denn zu Absatzproblemen mit dem Bestseller TPA kamen finanzielle Schwierigkeiten, vor allem durch die kostspielige Forschung. Sie verschlingt rund 40 Prozent des jährlichen Umsatzes von 400 Millionen US-Dollar. Zähneknirschend begab sich Genentech deshalb Mitte vergangenen Jahres zu 60 Prozent in die Hände des Schweizer Chemiekonzerns Hoffman-LaRoche. Die Wall-Street-SpekulantInnen, sonst zurückhaltend bei BioTech-Aktien, ließen Genentech von 21 auf 36 US-Dollar steigen.

Im Pionierland der modernen Biotechnologie, in den USA, hat dieser neue Industriezweig seit Mitte der 80er Jahre seinen Glanz für Investoren verloren. Die meisten der kleinen kreativen Firmen, die in den 70er und 80er Jahren von enthusiastischen Biologen gegründet worden waren, sind mittlerweile entweder Konkurs gegangen oder wurden von den großen der chemisch-pharmazeutischen Industrie aufgekauft.

Zwar hat die Gentechnik Eingang in verschiedene Bereiche des Alltags gefunden. Als „Schlüsseltechnologie für das 21. Jahrhundert“ konnte sie bisher jedoch nicht halten, was sich während des Gründungsbooms von ihr versprochen wurde: neue Produkte, die schnell gewinnträchtig verwertet werden können. Gentechnisch hergestellte Medikamente haben sich nicht in der prognostizierten Geschwindigkeit bezahlt gemacht, ist doch der Weg von der Grundlagenforschung zur Nutzanwendung steiniger als erwartet. Und die kapitalintensive Forschung ist ein Kostenfaktor, der das Überleben kleiner Firmen der BioTech-Branche beeinträchtigt.

Schwierigkeiten gibt es zudem bei der Umsetzung erfolgreicher Laborexperimente in den Maßstab großtechnischer Produktionsanlagen. Zudem erzeugen die neuen Medikamente oft unerwartet gravierende Nebenwirkungen, die ihre Vermarktung erschweren. DiabetespatientInnen etwa können durch gentechnisch hergestelltes Insulin unbemerkt in eine lebensgefährliche Unterzuckerung kommen. Die in Japan mit Hilfe genmanipulierter Bakterien hergestellte Aminosäure L-Tryptophan, eingesetzt als Schlafmittel und in den USA auch als Nahrungsmittelzusatz beliebt, geriet erst kürzlich in den Verdacht, Auslöser einer neuartigen teilweise tödlich verlaufenden Krankheit zu sein. In der Bundesrepublik besteht daher seit Anfang letzten Jahres ein vorläufiger Vertriebsstopp für Schlafmittel, die L-Tryptophan enthalten.

Der Börsenmarkt in der Wall Street, der auf vierteljährliche Gewinnspannen ausgelegt ist, zeigt der (noch) kostspieligen BioTech-Industrie die kalte Schulter. Käufe an solchen Firmen gelten als „risky business“, und einige Unternehmen stehen bereits vor der existenziellen Entscheidungen, entweder zu wachsen oder zu weichen. Entlassungen und Einschränkungen der Produktpalette sind an der Tagesordnung. US-Firmen wenden sich bei ihrer Suche nach Investoren mit Vorliebe japanischen und westeuropäischen Konzernen zu, die eher bereit zu sein scheinen, Forschungsgelder ohne direkte Profiterwartungen auszugeben und sich auf langfristigere Perspektiven in der Produktplanung einzulassen.

Neben LaRoche haben so auch Chugai aus Tokio, Glaxo aus London, Sandoz und Ciba-Geigy aus Basel sowie Schering aus Berlin mit US- BioTech-Unternehmen sogenannte strategische Allianzen gebildet. Das Pharmaunternehmen Chugai stellt den Blutwirkstoff Erythropoietin (EPO) gemeinsam mit dem Genetics Institute of Cambridge her; Ciba- Geigy kooperiert bei einigen Forschungsprojekten zu Antiallergika, und Schering erwarb im vergangenen Jahr das Unternehmen Triton Biosciences, das die herkömmliche Produktpalette der Pharmakonzerns biotechnologisch ergänzen soll.

Mit dem Erwerb von Genentech erhielt LaRoche Zugang zu den Produktreihen des BioTech-Unternehmens, so zu dem Wachstumshormon Protropin sowie zu Forschungsreihen an Immunstimulanzien. Genentech hatte aber noch etwas zu bieten, was bei anderen Firmen in der Branche nicht unbedingt zu finden ist: Sämtliche Produkte werden selbst vermarktet, es bestanden keine Lizenzverträge mit anderen Firmen. Für Genentech andererseits ist LaRoche als Käufer attraktiv, weil das Unternehmen die Grundlagenforschung betont.

GenTech-Medikamente, sogenannte „Bio“-Pharmaka, sind im allgemeinen nicht nur immens teuer in der Herstellung, sie sind bisher auch nur per Spritze zu verabreichen, da ihre „großen Moleküle“ im Magen zusammenbrechen würden. Genentechs TPA etwa kostet pro Injektion 2.200 US-Dollar und muß den EmpfängerInnen häufig nachgespritzt werden, weil sich der Blutgerinnsel auflösende Wirkstoff recht schnell im Körper wieder abbaut. Mit drei im Januar angelaufenen Joint-ventures mit Firmen aus dem chemisch- pharmazeutischen Bereich verspricht sich Genentech/LaRoche jetzt die technische Weiterentwicklung seiner „Bio“-Pharmaka und mit verbesserten Produktions- und Verabreichungsformen auch größere Marktchancen.

In Kreisen der chemischen Industrie rechnet man damit, in den 90er Jahren mit der Biotechnologie in die Gewinnzone zu gelangen, die derzeit noch keine nennenswerten Profite abwirft. Zahlreiche kurz vor der Zulassung stehende Produkte steigern das Interesse, hier einen Fuß zwischen die Tür zu bekommen — oder mehr noch: sich durch den Einkauf in BioTech-Firmen Zugang zu einer am Markt halbwegs etablierten Technologie und zu der BioTech-Arena der neuen Teilmärkte zu verschaffen.