VIDEOÜBERDENWIDERSTANDGEGENDIEKAHLSCHLAGSANIERUNG

ALTERNATIVEHEIMAT  ■  DAMALS AM KlAUSENERPLATZ

Wer kennt ihn nicht, den Charlottenburger Kiez am Klausenerplatz?! Jene Hochburg der Westberliner Alternativen außerhalb von Kreuzberg, in der es auch elf besetzte Häuser gab, die AL stärkste Partei wurde und noch heute mehr Kinderwagen als Autos durch die Straßen rollen. Den Grundstein für die Alternativheimat legte ausgerechnet die SPD, die das Viertel vor 25 Jahren fast vollständig abreißen wollte. Den teils erfolgreichen Widerstand der MieterInnen hielt Gerd Conradt in einem Videofilm fest, den das bezirkliche Heimatmuseum heute abend zeigt.

Gerd Conradt, Videolehrer und Mitglied der legendären Mieterinitiative Klausenerplatz, war von Beginn an beim Protest dabei. Gemeinsam demonstrierte man, bildete Hausgemeinschaften, begrünte Abrißschneisen, siedelte Ziegen und Hühner an, belebte die antifaschistische Tradition, schrieb Bücher darüber und organisierte historische Rundgänge, die es heute noch gibt. Seit 1973 nahm Conradt seine Videokamera bei jeder Gelegenheit mit, »um alles zu dokumentieren und Gegenöffentlichkeit zu schaffen«. Im Auftrag des ZDF entstand zehn Jahre später ein vollendeter Film, für den er teils altes Schwarz/weiß-Material benutzte, teils neue Farbszenen hinzu drehte.

Gerüst des Videos sind Portraits von fünf Menschen, die in die damaligen Auseinandersetzungen verstrickt waren. Conradt stellt ihr Leben in den 70ern dem Alltag von 1983 gegenüber. Da ist zum einen die einst kaisertreue Oma Schotte, die im Alter noch lernte, sich gegen die Obrigkeit zu wehren. Zum anderen die Bolle-Verkäuferin und vorlaute Renommierproletarierin der Mieterinitiative Ruth Eichstädt, die zuguterletzt doch in eine komfortable, aber teure Neubauwohnung zog. Nicht fehlen darf der farblose Neue Heimat-Architekt Prof. Hämer, der doch immer nur das beste wollte, genauso wie zwei engagierte Herren von SPD und AL, die ihre politischen Vorstellungen mit dem bürokratischen Theater im Bezirksrathaus mehr schlecht als recht vereinbaren konnten.

Spannung in den Film bringt aber nicht nur der authentische Inhalt, sondern gleichfalls seine experimentellen Trickaufnahmen und poetischen Bilder. Conradts Streifen aus den Anfängen der Videozeit wurde bereits auf internationalen Festivals gezeigt und in Kanada sogar preisgekrönt.

Der Kiez am Klausenerplatz ist unterdessen jedoch zur Ruhe gekommen. Wer genug Geld hatte, blieb und etablierte sich. Das Straßenbild prägen heute neben dem Ökobäcker und dem Kneipenkollektiv immer mehr Architektur- und Anwaltsbüros; teure (wenn auch gute) Cafés und Restaurants eröffneten. Protest im Kiez gibt es aber allenfalls noch dann, wenn die Nachbarskinder zu laut toben oder den Ziegen an den Schwänzen ziehen. Keine Gefahr also für den Volksbildungsstadtrat von der CDU, den Widerstand gegen Profitsanierung für Geschichte zu erklären und Conradts Video in das Programm des Heimatmuseums zu übernehmen. Vielleicht schauen ihn heute abend die Kontrahenten von einst sogar gemeinsam an und geraten zusammen erst richtig ins Schwärmen: Ach ja, wißt ihr noch, damals war's. Micha Schulze

HEUTE18UHRSCHLOSSTRASSE69,1/19