Verlogene Nostalgie

■ Roland Gräfs „Der Tangospieler“ im Wettbewerb

Ein Mann kommt aus dem Gefängnis, trinkt viel und starrt auf Frauenpos. Eine Frau trägt eine durchsichtige Nylonbluse, die längst aus der Mode ist. Auf der Straße fährt ein Oldie. Ist das nun die Stasi, oder fährt der alte Wartburg so einsam, weil die Requisiten knapp sind? Der Tangospielers bietet die erwarteten Reizthemen (Stasi, Knast, Panzer in Prag), die Bilder sparen nicht an der erwarteten Tristesse: kaputte Häuser, armselige Wohnungen, schmuddelige Grautöne. Die Welt ist angestaubt und verschimmelt. (Nur das Kodakmaterial glättet das Bild tv-gediegen ab). Der Tangospieler — ein Film, als ob die Mauer noch stünde und für alle Ewigkeit stehenbliebe.

Die Roman„vorlage“ von Christoph Hein ist eine absurde Parabel, drapiert in 68er Kostümen. Ein Uni-Dozent wird gebeten, im Studentenkabarett für einen erkrankten Pianisten einzuspringen. Sein Text gerät zu frech. Der stumme Ersatzmann, der nur eine fremde Tangomelodie aus den 30er Jahren klimperte, geht für 21 Monate in den Knast. Im Namen des Volkes. Nun kommt er zurück und kann keinem erklären, was ihn quält. Das versteht auch der Leser erst am Schluß: Ein anderer Uni-Dozent erleidet die gleiche absurde Ungerechtigkeit. Er antwortet auf eine Anfrage der Studenten am 21. August 1968, daß die DDR niemals ihre Panzer nach Prag schicken würde, („schon wegen '38, wo bleibt da Ihr historisches Bewußtsein?!“) — die Rundfunkmeldung sei eine gemeine Lüge des Klassenfeinds.

Für seinen treuherzigen Glauben muß er gehen, und der Ersatz-Dissi, der Pech-Pianist, kann an seine Stelle treten. Er willigt ein, weil er eins begreift: die Welt folgt absurden Spielregeln.

Der Roman ist distanziert und grotesk. Der Film ist von Melancholie, Nostalgie und weinerlichem Selbstmitleid durchtränkt. Gräf nimmt den Stoff nicht grotesk (dazu fehlt ihm die Schärfe), er hat für diese Ordnung Verständnis. Die literarischen Metaphern werden zu Alltagsdetails, das clowneske Stasipaar Müller-Schulze verliert die Pointierung und wirkt fade, infantil, nicht bedrohlich.

Gräf glaubt nicht an die Absurdität, er glaubt an Realismus: schließlich hat er im Leben diesen Realismus genossen, und zwar nicht als Absurdität: In Gräfs Film Die Flucht (1978) versucht ein Arzt (gespielt von Armin Müller-Stahl) aus der DDR zu fliehen und kommt dabei um — eher allerdings infolge seiner inneren Krise als der äußeren Wunde. Der Schauspieler glaubte selbst so wenig an diesen Zauber, daß er nach dem Film das Land ungehindert verließ, der Regisseur erntete gleich drei Preise, einen darunter von der 'unabhängigen DDR-Kritik‘.

Gräf macht die Hein-Groteske zur psychologisch-milieumotivierten Geschichte: vom zunächst unschuldigen Opfer zum schließlich resignierten Anpasser. Den verurteilt er nicht: er bemitleidet ihn. Der Stoff wurde vor der 'Wende‘ ohne Widerspruch angenommen. Schon damals versprachen sich die Chefs nichts Erschütterndes, sie glaubten, wie der Regisseur, an den Realismus und die historische Notwendigkeit von Mauer, Einmarsch, Irrtümern und Loyalität.

Nach dem Fall der Mauer glaubt Roland Gräf immer noch, daß es nur so gehen konnte, weil mußte. Wenn die Deutschen nun die nationale Anpassungsfähigkeit wieder nostalgisch verklären, dann ist die Melancholie eine brauchbare Maske.

Der Tangospieler beweint den sympathischen Anpasser und gibt auf diese Weise einen Ablaßzettel für alle aus — für die ehemaligen Chefs, für die armen Würstchen Stasi, für die wehrlosen Intellektuellen. Glatt und letzten Endes zynisch steigt die DEFA in den Wettbewerb ein.

Vor dem Fall der Mauer war die Berlinale das einzige A-Festival, das DDR-Filme zeigte. Die Mauer ist weg und mit ihr die Spannung, die auf diesem Festival vormals unterschwellig spürbar war. Die Langeweile des Tangospielers ist in diesem Sinne der treffendste Ausdruck einer neuen Windstille. Aber auch dessen, daß die Mauer im Bewußtsein — auf allen Seiten — noch steht. Und wenn die aus Beton noch da wäre, hätte Der Tangospieler wieder einmal einen Bären eingesteckt. Keinen politischen, wie es immer hieß.

Oksana Bulgakowa

Roland Gräf, Der Tangospieler, mit Michael Gwisdek, Corinna Harfouch, Hermann Beyer, Deutschland 1991, 96 Min.

18.2., Kongreßhalle, 10 Uhr, Zoo-Palast, 17 Uhr 30.