HEUTEABENDBEIEINERLESUNGÜBER»SCHEINLEBEN«VEREINT

HOMOSINPOTSDAM  ■  INTEGRATION IST PFLICHT!

Potsdams schwule Knabenliebhaber haben es gut: Ausgerechnet im »Haus der Jugend« hat die größte Lesben- und Schwulengruppe der alten DDR ihren Sitz — das »Homosexuellen-Integrationsprojekt« (HIP), das heute abend wieder zu einer spannenden Lesung lädt. Ältere Homos müssen da überhaupt nicht draußen bleiben, Integration ist schließlich Name und Programm; selbst ChristdemokratInnen und GenossInnen sind dem HIP harmonisch verbunden.

Nur ein einziges Mal wurde die Integration durch einen befristeten Ausschluß hart in Frage gestellt: Hatte es doch ein Mitglied gewagt, entgegen Absprachen der heterosexuellen Öffentlichkeit schwule Safer-Sex-Pornos zu präsentieren. Zu den Treffen darf der Verwarnte dennoch weiterhin kommen: HIP ist wie eine Familie mit festeren Beziehungen untereinander als in der Homoszene West.

Integrativ ist das Homo-Projekt sogar nach außen: Daß im alten FDJ-Haus der Jugend das Junge-Union-Plakat friedlich neben dem Aufruf zum Häuserkampf hängt, hat man seinem vermittelnden »Chef« Dorian Haseloff zu verdanken, der einst die gesamte Jugend am Runden Tisch vertrat. Selbst am 3.Oktober konnte er Freunde und Kritiker der Deutschtümelei bei einer Lesung der Lessingschen Ringparabel vereinen.

Selbstverständlich schließt das Integrations-Projekt auch Nicht-Integrationswillige nicht aus, im Gegenteil: »Wir wollen nicht heterosexualisiert werden, sondern die Heteros bei uns einführen«, erzählt ein schules Mitglied unter dem Beifall anderer. Die HIP-Forderung, ein gleichgeschlechtliches Referat nach Berliner Modell in Brandenburg zu schaffen, unterstützt er allerdings auch.

Bestes HIP-Integrationsbeispiel ist Michael Kühn. Der schwule Ehemann und Familienvater ist im Projekt für die Zusammenstellung des Programms zuständig, das er auch selbst mal gestaltet: Heute abend wird er eigene Texte über sein vergangenes »Scheinleben« in Familie und Armee und die »Kunst des Verdrängens« lesen, bei denen man viel über die alte DDR und HIP erfahren kann. Tips zum Thema »Schreiben als Selbsterkenntnis« hat er im Anschluß parat, nächste Woche wird er sie fortführen. Jeden Donnerstag ist nämlich im HIP thematischer Abend, jeden Mittwoch Aids-Beratung von 16 bis 19 Uhr und jeden Montag ab 19.30 Uhr Barbetrieb unter DDR-Fahne und mit Dosenbier. Einen Frauenabend gibt es jeden ersten Freitagabend im Monat, eine gemeinsame Disco »Feeling Rosa Intim« jeden zweiten Sonntag im alten Jugendzentrum »Spartakus«.

Ob bei den vielen Veranstaltungen allerdings auch die Knabenfreunde immer auf ihre Kosten kommen können, muß offen bleiben. Der direkte Körperkontakt mit jungen HIP-Schwulen ist im Grunde genommen nur beim obligaten Händeschütteln garantiert. Micha Schulze

19.30UHRINPOTSDAM,BERLINERSTR.49