Südamerika auf dem Weg zum gemeinsamen Binnenmarkt

Argentinien und Brasilien unterzeichnen Abkommen zum Merconsur/ Die anderen Staaten des Subkontinents halten sich zunächst vorsichtig zurück  ■ Aus Brasilien Gaby Weber

Sicher ist eigentlich nur eines: Er wird kommen, der Merconsur, der Mercado Comun del Cono Sur. Als Gegenstück zu den existierenden Wirtschaftsblöcken EG und pazifischer Raum haben die argentinischen und brasilianischen Präsidenten den gemeinsamen Markt des Südkegels angekündigt. Wie der Binnenmarkt Südamerikas aussehen soll, steht allerdings noch in den Sternen. Chile beispielsweise ist erst einmal auf Abstand zu den Integrationsplänen gegangen, allerdings mit vielen freundlichen Worten, um sich ein Türchen offenzuhalten. Der Andenstaat hält sich für konkurrenzfähig auf dem Weltmarkt und will sich deshalb eher in Richtung Pazifik/Japan orientieren als an den armen Nachbarländern.

Die Forderung nach der südamerikanischen Einheit ist so alt wie der Kontinent. Die lateinamerikanische Konföderation des großen Befreiers Simon Bolivar hielt nur wenige Jahre; alle folgenden Versuche scheiterten an nationalstaatlichen Konkurrenzgebärden. Statt Schaffung eines Binnenmarktes und seiner regionalen Integration blieb bei den gescheiterten Versuchen nur die Eingliederung in den Weltmarkt übrig.

Auch das Projekt Hydrovia, eine Wasserstraße, die die Paraguay-, Uruguay- und Paranaflüsse miteinander verbinden und in der uruguayischen Freihandelszone Nueva Palmira enden soll, dient weniger der Integration eines Binnenmarktes als der Einbindung in den Weltmarkt. Wie seit den Zeiten des Kolonialismus werden so die rohstoffproduzierenden Regionen mit den Atlantikhäfen verbunden, um die Reichtümer zur nördlichen Halbkugel zu verschiffen.

Über die Hydrovia, deren Bau von der Weltbank gefördert wird, werden Bolivien und Paraguay Zugang zum Atlantik bekommen und können Soja, Weizen, Früchte und Mais kostengünstig verschiffen. Aber wohl auch die Kokainhändler lösen so ihr Transportproblem. Die Hafenanlagen Nueva Palmiras werden ebenso wie die der argentinischen Häfen am Rio Parana von privaten Unternehmen gemanagt, staatliche Kontrolle ist mit Schmiergeldern leicht zu umgehen.

Trotz einer langen Liste ungeklärter Fragen haben Brasilien und Argentinien im Dezember ein Abkommen über den künftigen gemeinsamen Markt unterzeichnet. Spätestens 1995 soll der Merconsur durch den Beitritt Uruguays und Paraguays erweitert werden. Auch einen Zeitplan, um wieviel Prozent jedes Jahr die Zölle heruntergesetzt werden sollen, hat man bereits: Ab 1. Januar 1991 werden die Grenzabgaben um 40 Prozent reduziert, bis sie 1995 gänzlich aufgehoben werden.

So steht das zumindest auf dem Papier. Bisher hat erst Argentinien die Zölle auf einheitlich 22 Prozent gesenkt. Brasilien hat immer noch Produkte, für deren Einfuhr es 85 Prozent verlangt (durchschnittlich 32 Prozent). Wann diese Zölle dem Zeitplan des Merconsur angeglichen werden, steht jedoch noch in den Sternen. Streit gibt es auch über die Produktliste, mit der jedes Land die eigenen Erzeugnisse schützen will. Abkommen über eine Harmonisierung des Rechts müssen erst noch diskutiert werden, es fehlt ein gemeinsames Zahlungsmittel und eine kollektive Strategie, wie mit Investitionen, Migrationsproblemen und der Währungspolitik in Zukunft zu verfahren sei.

Als reines Wunschdenken entpuppt sich bei näherem Hinsehen das Argument von einem künftigen Markt mit 180 Millionen Konsumenten. Von dieser Zahl müssen alle „extrem Armen“ abgezogen werden, die als Slumbewohner sowenig Geld in den Fingern haben, daß sie am Konsum nicht teilnehmen können. Dann bleiben noch 80 Millionen übrig. Doch auch darunter sind noch die — wie Soziologen unterscheiden — „Armen“ enthalten, die unterhalb des Existenzminimums leben, also auch nicht viel konsumieren können. Der Markt reduziert sich damit auf 40 Millionen Verbraucher, das entspricht der Bevölkerung Spaniens.

In den vier geplanten Mitgliedsstaaten gibt es bislang mehr Widerstand als Zustimmung. Zwar versprechen sich die brasilianischen Unternehmen — vor allem die Tochtergesellschaften deutscher Firmen — einen größeren Absatzmarkt für ihre Industriegüter. Merconsur könnte ein deutliches Gegengewicht zur Bush-Initiative der Amerikas werden, der Freihandelszone von Alaska bis Feuerland, mit der Washington den Subkontinent mit US- Produkten überschwemmen will.

Aber haben die Unternehmen durch die Öffnung zu den Nachbarn nicht mehr zu verlieren als zu gewinnen? Werden die argentinischen Betriebe, in die seit zehn Jahren kein Austral mehr investiert wurde, gegen die Brasilianer konkurrieren können? Die uruguayische Textil- und Milchindustrie hat gute Chancen, aber was passiert, wenn sich Nestlé über den Amazonasstaat einschleicht? Fest steht, daß sich die uruguayischen Produzenten von Wolle, Holz, Wein, Fleisch und Zucker ohne Protektionismus kaum werden behaupten können.

Der lateinamerikanische Kapitalismus expandiert nicht mehr nach innen, er fördert nicht den Binnenmarkt, sondern sucht sich neue Absatzmärkte im Ausland. Da in allen vier Mitgliedsstaaten des Merconsur eine notorische Knappheit an Kapital besteht, sind keine Mittel für Investitionen vorhanden. Der gemeinsame Markt wird viele Arbeitsplätze vernichten, weil der Merconsur ohne Vorbereitungen auf Menschen und Unternehmen losgelassen werden wird. Es gibt keine staatlichen Überlegungen, wie den Opfern der Integration zu helfen sei. Im gemeinsamen Markt wird das Gesetz des Dschungels herrschen, und die Großen werden die Kleinen gnadenlos verschlingen.