Ägyptens politische Eintracht ist mehr Wunsch als Wirklichkeit

■ Noch steht die öffentliche Meinung hinter dem Angriff, doch verschiedene Oppositionelle kritisieren die ägyptische Beteiligung an der systematischen Vernichtung Iraks

„Und hiermit fordere ich Dich auf, Saddam: Gib heute Deinen Rückzug aus Kuwait bekannt, um Dein Volk und Dein Land vor Tod und Zerstörung zu retten.“ Derart drastisch kommentierte der Chefredakteur der ägyptischen Regierungszeitung 'Al- Ahram‘ am Abend nach dem ersten Angriff auf den Irak die Ereignisse am Golf. Präsident Mubarak habe alles getan, was in seiner Macht stand, verkündete Außenminister Esmat Abdel-Meguid. Das von der Regierung kontrollierte Fernsehen ließ verlauten: „Alle Parteien stimmen mit der Regierung überein.“

Doch die politische Eintracht ist mehr Wunsch als Wirklichkeit: Auch wenn von einer öffentlichen Debatte in Ägypten derzeit keine Rede sein kann, meldete eine ganze Anzahl von Oppositionellen Widerspruch an: „Ägypten hätte viel mehr tun können, um den Krieg am Golf zu verhindern“, sagte die unabhängige Parlamentsabgeordnete Mona Makram-Ebeid, ein ehemaliges Mitglied der großbürgerlich-liberalen Neo- Wafd-Partei. „Es wurde nie ausgemacht, daß Ägypten bei der Zerstörung Iraks mitwirken sollte.“ Farida Naqasch, eine führende Vertreterin des linken Bündnisses Tagammu, formulierte es noch schärfer: „Bush hat versprochen, Kuwait zu befreien. Doch was jetzt passiert, ist die völlige Zerstörung Iraks.“

Einer künftigen Vormachtstellung der USA in der Region, besonders nach dem Ausfall der Sowjetunion, sehen viele mit gemischten Gefühlen entgegen: „Es geht ja nicht nur um das Öl“, meint die Unabhängige Makram-Ebeid, „sondern vor allem um die Frage: Darf ein arabisches Land heute mächtig sein?“ In ihrer Forderung nach einem sofortigen Waffenstillstand am Golf und einer internationalen Friedenskonferenz sind sich alle Oppositionsgruppen einig, sogar die mit den Muslimbrüdern koalierende „sozialistische Arbeiterpartei“, die nach ihrem Wahlboykott vom vergangenen November nicht im Parlament vertreten ist. „Noch ist ein Kompromiß möglich“, sagt Adel Hussein, ehemaliger Marxist und heute Chefredakteur der den Muslimbrüdern nahestehenden Wochenzeitung 'Al-Shaab‘. „Der Irak hat seine Bereitschaft signalisiert, den Konflikt nicht weiter eskalieren zu lassen. Saddam Hussein hat gezeigt, daß er fähig ist, Israel anzugreifen. Aber er hat noch keine chemischen Waffen eingesetzt“, interpretiert Adel Hussein das bisherige militärische Vorgehen des Irak. Der Kompromiß läge für ihn in der Einberufung einer internationalen Friedenskonferenz: „Wäre die Besetzung Kuwaits ein innerarabisches Problem geblieben, dann wäre eine Verbindung absurd. Die massive Intervention des Westens hat die Kuwaitfrage aber internationalisiert. Die Verbindung von zwei internationalen Konflikten in der Region wäre also die logische Folge“, schließt Adel Hussein. Und er sagt weiter: „Mit einem Eingreifen Israels wird sich die öffentliche Meinung Ägyptens dramatisch ändern.“ Dem stimmt auch die Vertretin des linken Bündnisses Naqqasch zu: „Frage einen Ägypter auf der Straße. Er wird nie damit einverstanden sein, daß die ägyptische Armee auf der Seite Israels den Irak zerstört.“

Derart kontroverse Standpunkte haben derzeit kaum Chancen, nach außen zu dringen. Auch die meisten Ägypter werden nur wenig Gelegenheit haben, sich mit den oppositionellen Standpunkten auseinanderzusetzen. Radio und Fernsehen sind der Regierung vorbehalten, und die meisten Oppositionszeitungen dürfen nur wöchentlich erscheinen. Somit reicht es auch, wenn die Tagammu- Führung sich erst eine halbe Woche nach Kriegsbeginn trifft, um eine Stellungnahme zu beraten; deren Zeitung 'Al-Ahali‘ (Die Massen) erscheint ohnehin erst in einer Woche.

So scheint die Mehrheit der ägyptischen Bevölkerung noch hinter dem Angriff auf den Irak zu stehen, wenngleich mit ein wenig Sorge um die in der Golfregion verbliebenen Ägypter. Karim El-Gawhary

und Marilyn Touma, Kairo