»Für uns Kurden ist egal, ob es Krieg gibt oder nicht«

■ Unter den kurdischen BerlinerInnen herrscht Hilflosigkeit und Angst um die Verwandten in ihrer Heimat/ Sie beklagen, daß ihr Volk vergessen wird

Ohnmachtsgefühle am Telefon: In der Heimat von Berlins zweitgrößter Minderheit bahnt sich eine Tragödie an. 50.000 KurdInnen leben zwischen Kreuzberg und Spandau, deren Alltag von Tag zu Tag mehr von Angst, Hilflosigkeit und Angst um die Verwandten zu Hause gezeichnet ist: Egal, wer wen in der Golfregion angreift — ihr Volk wird zu den Hauptleidtragenden zählen. Den Horror irakischer Giftgasangriffe werden sie nie vergessen — ebensowenig die Ignoranz der Weltöffentlichkeit, die damals kaum Kenntnis nahm vom Schicksal des Volkes, dessen Land von Irak, Syrien, Iran und der Türkei besetzt gehalten wird. Die Angst der kurdischen BerlinerInnen mischt sich deshalb zunehmend mit ohnmächtiger Wut. Warum, so fragen sie, demonstriert ihr erst jetzt?

Über die heutige Friedensdemonstration sprach die taz mit Aso Agaye, Leiterin des Spandauer »Hinbun-Ladens« für kurdische und türkische Frauen; mit dem Chemiker Dr.Hassan Nahid aus dem iranisch besetzten Teil Kurdistans; A. Nassu, Kurdischlehrer an einer Berliner Volkshochschule aus dem syrisch besetzten Teil und Azad aus dem irakisch besetzten Teil. Letzterer bat um Änderung seines Namens durch die Redaktion.

taz: Für heute rufen zahlreiche Gruppen zu einer Demonstration gegen den drohenden Golfkrieg. Werdet ihr an dieser Demonstration teilnehmen?

Aso Agaye: Als ich von der Demonstration gehört habe, habe ich verdammt empfindlich reagiert. Ich habe mich gefragt, warum ich auf diese Demonstration gehen soll. Wozu denn? Eine halbe Million Kurden sind ermordet worden, ohne daß sich irgendeine Friedensbewegung auf den Straßen hätte sehen lassen. Ich bin ungemein enttäuscht von dieser Friedensbewegung. Vor drei Jahren hat Saddam Hussein die Kurden im Irak mit deutschem Giftgas getötet. Das ging ein paar Tage durch die Schlagzeilen, dann hat es niemanden mehr interessiert. Also, ich werde auf die Demonstration gehen, aber mit sehr gemischten Gefühlen.

Azad: Ich weiß nicht, wer an dieser Demo teilnimmt. Wenn zum Beispiel Leute auf dieser Demo Poster mit Saddam Hussein hochhalten werden, dann kann ich daran nicht teilnehmen. Man kann mit Demos keinen Krieg verhindern. Die Friedensbewegungen haben vielen genützt, aber noch nie den irakischen Kurden. Wir haben so viel gelitten. Wir sind hoffnungslos geworden.

Nassu: Wenn Menschen auf der Friedensdemonstration Poster von Saddam Hussein hochhalten, dann ist das keine Friedensdemo mehr. Denn er hat den Krieg begonnen, weil er ein friedliches Land überfallen hat.

Aso: Was wir auf der Demo sicher auch sehen werden, sind die Fotos von den kurdischen Giftgasopfern, die jetzt plötzlich wieder im Fernsehen auftauchen. Und da kommt es mir dann endgültig hoch...

Weil es jetzt um das Öl geht, werden solche Bilder nach Ihrer Meinung als PR gegen Saddam hervorgeholt?

Aso: Ganz genau.

Hassan: Mir geht es genauso. Von den Giftgasangriffen 1988 auf die kurdischen Dörfer und Städte wurde damals sehr wenig Notiz genommen. Ich werde an dieser Demonstration teilnehmen, obwohl ich weiß, daß ich zum Teil auch mißbraucht werde. Denn für uns Kurden sind die vier Regimes, die unser Land besetzt halten, gleichermaßen verbrecherisch. Ich möchte aber auf eines hinweisen: Gerade im kurdischen Teil des Iraks sind massiv chemische Fabriken und Nuklearfabriken gelagert. Sie haben dort die Dörfer evakuiert und Nuklearwaffen eingelagert. Das war jetzt auch auf Satellitenbildern zu sehen, die in den Nachrichten gezeigt wurden. 40.000 Kurden sind inzwischen nach Kuwait umgesiedelt worden. Zum Teil mit Zwang, zum Teil hat man sie hingelockt. Kuwait galt ja immer als reiches Land. Und ob der Krieg nun in Kuwait stattfindet oder im Irak — in jedem Fall leiden die Kurden darunter.

Aso: Für die kurdische Bevölkerung herrscht ständig Krieg. Der fängt für uns nicht erst mit dem Krieg zwischen den Amerikanern und den Irakis an. In der kurdischen Bevölkerung herrscht eine unglaubliche Angst, daß dieser Krieg möglicherweise auch benutzt wird, um sie endgültig zu eliminieren. Nach den Erfahrungen mit den Giftgasangriffen ist das kein Wunder.

Die Möglichkeit, daß Saddam Hussein beseitigt wird, ist für Sie also kein Hoffnungsschimmer?

Hassan: Wenn es jetzt Krieg gibt, hilft uns das nichts. Und wenn es keinen Krieg gibt, hilft uns das auch nichts, weil Saddam mit seinem Militärapparat weiter gegen die Kurden vorgehen wird. Es gibt ein kurdisches Sprichwort: »Wenn du ertrunken bist, ist es egal, ob du zwei Zentimeter oder zwei Meter unter dem Wasser liegst.« Natürlich bin ich persönlich gegen den Krieg. Die Opfer werden die Leute aus der einfachen Bevölkerung sein — egal ob Kurden oder Araber. Aber aus der Sicht meines Volkes bedeutet die Verhinderung des Krieges keine Verbesserung ihrer Lage. Die syrische, türkische, iranische und irakische Regierung werden weiter gegen die Kurden vorgehen. Sämtliche Nato-Militärmanöver in der Türkei finden zum Beispiel auf kurdischem Territorium statt. Daß Saddam Hussein auch gegen die Türkei losschlagen will, halte ich für Propaganda. Dazu ist er gar nicht in der Lage, und das weiß er auch. Nach meiner Meinung richtet sich der Nato-Aufmarsch gegen die Kurden und nicht gegen den Irak.

In Berlin leben 50.000 Kurden. Was unternehmen die, welche Nachrichten erhalten sie aus ihrer Heimat?

Aso: Sie sind in heller Panik und absolut hilflos. Bei vielen macht sich der psychische Druck bemerkbar, sie können nicht mehr schlafen. Die letzten, die aus dem Urlaub in Kurdistan zurückgekommen sind, berichten von langen Schlangen vor den deutschen Konsulaten. Die Leute versuchen um alles in der Welt, da rauszukommen. Aber das können sich nur noch reiche Leute leisten, wenigstens ihre Kinder in den Westen zu schicken.

Hassan: Die Leute hier in Berlin sind ratlos. Ich selbst habe Verwandte im irakischen Teil Kurdistans und versuche seit drei Wochen, eine telefonische Verbindung zu bekommen.

Azad: Wenn du versuchst, in den Irak zu telefonieren, wirst du unterbrochen. Du mußt in Rätseln sprechen, weil alles abgehört wird. Am Telefon hörst du die Leute nur noch weinen, weil sie nichts mehr zu essen haben und nicht mehr wissen, was sie tun sollen.

Was muß man denn zur Zeit einem Schlepper bezahlen, um fliehen zu können?

Hassan: Ein Flüchtling, den ich vorige Woche bei seinem Asylantrag gedolmetscht habe, hat 1.500 Dollar bezahlt, um über Istanbul nach Deutschland gebracht zu werden. Aber wer kann schon soviel Geld aufbringen?

Können die Kurden in Berlin ihren Angehörigen in den türkischen Flüchtlingslagern oder im Irak irgendwie helfen?

Aso: Wie denn? Man kann keine Pakete schicken. Sie versuchen, jeden Tag dort anzurufen. Sie sorgen sich, wo sich ihre Leute verstecken werden, wenn die Bombardements losgehen. Und was die Türkei betrifft: In den türkischen Medien wird ein richtiger Countdown bis zum Ende des Ultimatums betrieben. Noch zehn Tage, noch fünf Tage usw. Das versetzt die Leute zusätzlich in Panik.

Azad: Was mich aufbringt: Saddam hat im Zusammenhang mit dem Golfkrieg die palästinensische Frage ins Spiel gebracht, keiner aber redet von der kurdischen Frage. Wenn es eine Nahostkonferenz geben sollte, dann muß da auch über die Kurdenfrage geredet werden.

Das Gespräch führten: Thomas Kuppinger und Andrea Böhm