Sanfte „Abwicklung“ der Thüringer Unis

Christdemokratische Bestandsgarantie für Universitäten und Schulen/ Fachhochschulen sollen neu aufgebaut werden/ Opposition kritisiert die Vorstellungen der Landesregierung als zu schwammig  ■ Von Klaus-Peter Klingelschmitt

Berlin (taz) — Das Land Thüringen erlebte 1990 seine „Wiedergeburt“, meinte Ministerpräsident Josef Duchac (CDU) in seiner Neujahrsansprache — doch die Küche des neuen thüringischen Landtags wird offenbar noch immer von unerkannten „Seilschaften“ des angeblich toten SED-Regimes regiert: Tiefschwarze „Leiterchen“ aus minderwertigem Schweinefleisch, zermatschtes Sauerkraut und ein Schlag Brei, der auf einer Tafel unter dem Titel „Kartoffelpürree“, firmierte, wurden im Rahmen der ersten Sitzung des Landesparlaments im Jahre eins nach der Wiedervereinigung auf einem VEB- Keramikfabrik-Teller zu einer ungenießbaren Mittagsmahlzeit vereinigt. Dabei hatte Duchac den Bürgerinnen und Bürgern des Landes vollmundig versprochen, daß die Lebensverhältnisse in Thüringen „möglichst schnell“ denen der alten Bundesländer angeglichen würden. Und tatsächlich ist auch in der Landtagskantine diese „schwierige, aber lösbare Aufgabe“ (Duchac) in Angriff genommen worden. Ohne schweinerne „Leiterchen“ avancierte der Mittagstisch der ParlamentarierInnen unversehens zum „vegetarischen Teller“.

Auch in den Mensen des Landes ist Schmalhans weiter Küchenmeister. Die sogenannte Abwicklung — „besser: Reorganisation“ (Ministerin Lieberknecht/CDU) — hat an den Universitäten und Fachschulen des Landes chaotische Zustände provoziert und zur Verunsicherung von Studierenden, wissenschaftlichen MitarbeiterInnen, HochschullehrerInnen und Angestellten geführt — „bis hinunter zur Küchenhilfe in der Mensa“ (Grüne).

Die Befürchtung, daß im Zuge der „Abwicklung“ etwa traditionsreiche Hoch- und Fachschulen zerschlagen würden, trieb Mitte Dezember auch die Studierenden in Thüringen auf die Straße. Und erst, als es kurz vor Weihnachten in Erfurt vor dem Landtag zu „nicht entschuldbaren Entgleisungen eines Teils der Demonstranten“ kam, so der Fachschullehrerverband in einem Brief an den Ministerpräsidenten, wurde der Landesregierung klar, daß sie die im Einigungsvertrag vorgeschriebene „Abwicklung“ bis zum Sommer 91 nicht klammheimlich wird durchziehen können.

In einer aktuellen Stunde zum Thema versuchte die junge Bildungsministerin Christine Lieberknecht denn auch in einer Grundsatzrede vor dem Landtag, die „Wogen der Erregung“ (Lieberknecht) zu glätten: „Allen Studierenden wird die Möglichkeit eröffnet, ihr Studium fortzusetzen und zu einem anerkannten Abschluß zu führen.“ Keine der bestehenden Universitäten oder Fachschulen werde geschlossen, doch eine „Umstrukturierung, eine Angleichung an die Bildungsverhältnisse in den alten Bundesländern“, sei unumgänglich. So gebe es in der Bildungslandschaft der fünf neuen Bundesländer zum Beispiel keine Fachober- und Fachhochschulen. Gerade in den praxisorientierten Fachhochschulen der Bereiche Wirtschaft und Technik aber würden die Führungskräfte der mittleren Ebene herangebildet, die für einen ökonomischen Aufschwung die personelle Grundlage bildeten.

Auch die LehrerInnenausbildung müsse im Zuge der Angleichung der Lebensverhältnisse reformiert werden. Und das, so ein Sprecher der Union, gehe nicht ohne die Auflösung der ideologisch überfrachteten Institute für Lehrausbildung: „Da wird es nicht ausreichen, daß sich der ML-Professor per Namensschild zum Sozialkundeprofessor macht.“ Mit „aller Macht“ einsetzen will sich die Regierungspartei CDU dagegen für die Spezialschulen des Landes Thüringen, etwa für die Spielzeugbauschule in Sonneberg oder die Glasbearbeitungsschule in Ilmenau: denn die gehörten zu Thüringen wie die Bratwurst.

Nach dem Motto „Die Botschaft hör' ich wohl — allein, mir fehlt der Glaube“, monierten die Oppositionsparteien im Landtag die „Unverbindlichkeit“ der Aussagen der Landesregierung. Von der „harten Linie“ gehe man in Thüringen — nach den Massenprotesten — offenbar zu einem „Konzept der sanften Schließung“ über, meinte die LL-PDS-Abgeordnete Tamara Thierbach. Der SPD-Parlamentarier Andreas Enkelmann verlangte von der Landesregierung die Beibehaltung der „sozialen Angebote“ an den Hochschulen des Landes, wie etwa der „Nischen für werdende Mütter“ oder für Studierende mit Kindern. Außerdem prognostizierten die Sozialdemokraten einen „Studentenboom“ für die fünf neuen Bundesländer; in einem vergleichbaren Bundesland im Westen gebe es 60.000 Studierende, während es in Thüringen zur Zeit nur 15.000 sind. Und deshalb gehöre auch die Schaffung einer demokratisch verfaßten Studentenschaft mit Mitspracherecht bei der Entscheidungsfindung zu den Aufgaben der Regierung Duchac.

Duchac selbst schwieg in der Landtagsdebatte am Donnerstag. Der Ministerpräsident freute sich wohl klammheimlich darüber, daß Erfurt von den Parlamentariern zur Hauptstadt des Landes gekürt wurde. Denn von der Domstadt aus ist er in fünfzehn Minuten mit seinem Auto zu Hause in Gotha — und braucht nicht in der Landtagskantine zu essen.