„Das Embargo lange und streng fortsetzen“

■ Dieter Senghaas, Professor für internationale Politik in Bremen, zu den Möglichkeiten einer Deeskalation am Golf INTERVIEW

taz: Selten hat es vor einem Krieg soviel Zeit gegeben, die Eskalation zu stoppen. Eine Woche vor Ablauf des Ultimatums sind die Fronten aber starr. Sieht der Friedens- und Konfliktforscher noch Chancen für eine Deeskalation?

Dieter Senghaas: Ich sehe fünf Strategien der Konfliktlösung. Die erste — Selbstverteidigung der Kuwaitis — ist gescheitert, weil diese nicht die militärischen Mittel dafür hatten. Die zweite läuft noch: das Embargo nach Artikel 41 der UNO- Charta. Die dritte Strategie ist die militärische Aktion für den Fall, daß das Embargo erfolglos bleibt — nach Artikel 42. Die vierte heißt: verhandeln, verhandeln, verhandeln — einschließlich der Probleme Israel—Palästina, Libanon und möglicherweise auch der Kurden. Und fünftens ist da die Appeasement- also Beschwichtigungspolitik. Das hieße, die Aggression zur Kenntnis nehmen und warten, bis auch diese Diktatur stürzt. Das kann in Kürze geschehen, kann aber auch Jahre dauern.

Es spricht nichts dafür, daß es in Kürze geschieht.

Wenn man die Appeasementpolitik nicht betreiben will, weil man mit ihr historisch schlechte Erfahrungen gemacht hat, und wenn man auch keinen Krieg will, dann muß man zwei Dinge kombinieren: das Embargo lange und streng fortsetzen und gleichzeitig eine militärische Strategie des containment, also der Eindämmung, betreiben. Genau das, womit man in Europa vierzig Jahre sehr gefährlich lebte, was aber — im nachhinein betrachtet — erfolgreich war.

Ich will nicht behaupten, daß die Lage im Golf vergleichbar ist. Aber wenn man keinen Krieg will, gibt es keine Alternative zum containment. Jede der Strategien hat ihre Kosten, beim containment ist es die kuwaitische Bevölkerung, die unter dem repressiven System Saddam Husseins weiter leben müßte. Aber der Krieg würde mehr Opfer fordern, weil man nicht von einem erfolgreichen Blitzkrieg ausgehen kann.

Wie läßt sich denn von dem Termin 15.Januar wieder herunterkommen? Irakische Diplomaten verbreiten ja unter der Hand längst, Saddam sei bereit zum Rückzug — nur nicht unter dem Druck des Ultimatums.

Einen festen Zeitpunkt für irgendeine kriegerische Aktion gibt es in Wirklichkeit nicht — abgesehen einmal von den Grenzen, die die klimatischen Bedingungen vor Ort — der Beginn der Sandstürme — und der Beginn des Fastenmonats setzen.

Es gibt aber doch einen selbstgesetzten Druck, eine psychologische Dynamik, die auf eine rasche Entscheidung zielt: bei den beteiligten Soldaten, in der Presse, in der Öffentlichkeit. Die 'Bild‘-Zeitung zum Beispiel betreibt täglich ihren countdown.

Ich halte es durchaus für möglich, daß das Embargo weiter fortgeführt wird, obwohl es auch da Probleme gibt. Angenommen, die Ernährungslage der kuwaitischen Bevölkerung verschlechtert sich zusehends. Dann ist es unwahrscheinlich, daß die internationale Gemeinschaft Hungersnöte im Irak in Kauf nimmt. Genauso ist es mit der medizinischen Versorgung.

Das Embargo könnte auch langfristig nur wirken, wenn man den zivilen technischen Apparat und vor allem den Militärapparat damit treffen könnte. Dafür bräuchte man aber viele Monate, möglicherweise noch einmal ein ganzes Jahr. Und in dieser Zeit müßte eine militärische Eindämmungspolitik gegen Irak betrieben werden. Jeder militärische Ausbruchsversuch des Irak aus dem Embargo müßte auch militärisch abgewehrt werden. Daran kommt man nicht vorbei, wenn man die Embargopolitik strikt fortsetzt.

Präsident Bush hat aber gerade am Samstag die Forderung nach einer Fortsetzung des Embargos zurückgewiesen. Man wisse nicht, ob es jemals Erfolg haben würde.

Natürlich kann man das nicht wissen. Es gibt auch derzeit keine gefälligen Lösungen. Nur die von mir vorgeschlagene würde jedenfalls im Augenblick ein nicht kalkulierbares Ausmaß an Zerstörung und Opfern verhindern.

Wie kann man diese Alternative denn wieder in den Vordergrund bringen?

Indem man sie erklärt. Das Datum 15.Januar war in gewisser Hinsicht wichtig, um die internationale Diplomatie unter Zeitdruck zu setzen. Aber man verliert überhaupt nicht sein Gesicht, wenn man nach dem 15. nicht zu kriegerischen Aktionen greift — falls auch der Irak selbst stillhält — und sagt: Wir halten ein verstärktes Embargo bei anhaltender militärischer Eindämmung für eine angemessene Strategie für die kommenden Monate. Und dann sieht man weiter.

Sie sind nicht der Meinung, daß es momentan eine sozialpsychologische Dynamik, in den Krieg „hineinzuschlittern“, gibt?

In jeder Eskalation findet diese Dynamik statt, aber es gibt auch Gegenkräfte. Die amerikanische Gesellschaft ist in dieser Frage sehr gespalten. Im Moment scheint die Mehrheit eher skeptisch und kritisch zu sein. Präsident Bush ist nicht von Natur aus schießwütig. Er kennt seinen Kongreß, seine Gesellschaft, seine Medien. Ein sich lange hinziehender Krieg wäre für ihn als Politiker eine Katastrophe, und auf einen kurzen Blitzkrieg kann er sich nicht verlassen.

Aber wie geht man dann mit dem sich immer weiter aufbauenden ABC-Waffen-Potential des Iraks um? Das ist ja eine Bedrohung, vor allem für Israel. Vielleicht hat Saddam in einem halben Jahr ja die zielgenaue Rakete für Tel Aviv oder die Atombombe.

Ein lückenloses Waffenembargo kann man auf dem See-, Land- und Luftweg durchsetzen, wenn man das wirklich will. Es handelt sich um leicht überprüfbares Material. Der weitere Ausbau des Militärpotentials des Iraks kann dadurch natürlich nicht gestoppt werden. Obwohl ich unterstelle, daß der Irak nicht die Fähigkeit hat, ohne fremde Hilfe, ohne ausländische Ingenieure technologisch voranzukommen.

Die UNO ist viel gelobt worden, weil sie hier zum ersten Mal nicht den Ost-West-Konflikt abgebildet hat. Hat sie nicht aber die Entscheidung de facto in die Hände des US-Präsidenten gelegt?

Die UNO hängt immer von der Unterstützung durch möglichst viele Staaten ab. In diesem Fall kam zum ersten Mal das System kollektiver Sicherheit, das in ihrer Charta vorgesehen ist, teilweise zum Tragen. Bei kleinen Konflikten — etwa zwischen Algerien und Marokko — ist das weniger problematisch. Aber gegenüber einem Aggressor, der eine halbe Million Soldaten unter Waffen hat, wird auch eine vergleichbare Militärmacht gebraucht. Insofern geht die Kritik nicht gegen die UNO, auch nicht gegen die Vereinigten Staaten, sondern gegen all diejenigen Staaten, die nicht bereit waren, in ausreichendem Maß die UNO zu unterstützen. Sonst wäre die Aktion nicht zu einer amerikanischen Aktion geworden. Interview: Michael Rediske