VS: Stasi-Daten rücken wir nicht raus

Der Verfassungsschutz gelangte in den Besitz des vermutlich einzigen authentischen Datensatzes, der im Juli sichergestellt wurde/ „Wir kennen alle Hauptamtlichen“/ Gauck-Behörde kaum überrascht  ■ Von Petra Bornhöft

Berlin (taz) — Mit schallendem Gelächter quittierten gestern hohe Sicherheitsbeamte die „abenteuerliche Vorstellung“, der Verfassungsschutz (VS) solle seine Unterlagen mit den „rund 100.000 Namen aller hauptamtlichen Stasi-Mitarbeiter“ wieder rausrücken und an die Stasi- Akten-Behörde in Ost-Berlin übergeben. Dies sieht die erst zwei Tage alte „Vorläufige Benutzerordnung“ der Behörde vor. Doch die Verordnung halten Staatsschützer offenbar für Makulatur. Daß sie in den Besitz von Namenslisten gelangt sind, wie auch die Zeitung 'Der Morgen‘ gestern gemeldet hatte, wollte Präsident Jochen Gauck am Mittwoch nicht ausschließen. Sein Referent Christian Ladwig ging noch weiter: „Ich halte es für durchaus möglich, daß der Verfassungsschutz über noch ganz andere Unterlagen verfügt.“ Schließlich habe die Gauck- Behörde erst mit dem Tag der Einheit, dem 3.Oktober, das Material in Verwahrung genommen. Bis zu diesem Datum hockte das bekanntlich von Stasi-Offizieren durchsetzte „Staatliche Komitee zur Auflösung des MfS“ auf den Aktensäcken, Papierbergen — und jenem Original- Magnetband mit der kompletten Gehaltsabrechnung des MfS aus dem Jahr 1989, über der jetzt auch der Verfassungsschutz zu brüten scheint. Wie taz bereits im September berichtete, wurde diese Abrechnung mit dem Namen „Finanzprojekt“ am 8./9. Januar 1990 erstellt, eine Woche vor dem „Sturm“ auf die Berliner Stasi-Zentrale. Deshalb halten Experten die gespeicherten Daten für authentisch und nicht — wie in vielen anderen Fällen — für manipuliert. Verschlüsselt enthält die Liste neben der Personenkennzahl auch Angaben über Geschlecht, Geburtsdatum, Dienststelleneinheit, Krankengeld und sonstige Dienstabzüge des jeweiligen Mitarbeiters. Kombiniert mit einem dazugehörigen Schlüsselbuch läßt sich recherchieren, wer in welcher Abteilung unter welchem Abteilungsleiter als Sekretärin, „Offizier im besonderen Einsatz“ oder als besonders getarnter „Unbekannter Mitarbeiter“ (UM) gearbeitet hat. Daß der Verfassungsschutz sich auf diese, und nicht andere, bislang unbekannte Listen stützt, ist nicht zweifelsfrei zu beweisen. Gleichwohl gehen alle Experten davon aus. Angesprochen auf zahlenmäßige Differenzen — die taz hatte von 91.000 Datensätzen berichtet, jetzt ist die Rede von 103.000 — sagte ein hoher Sicherheitsbeamter: „Solche Abrechnungen enthalten oft Doppelbuchungen.“ Ferner spricht für die Annahme, der VS verfüge über die Gehaltsabrechnung, folgendes: Nachdem das Magnetband im Juli im Rechenzentrum Peetz der Nationalen Volksarmee sichergestellt wurde, erhielt der damalige Volkskammer-Sonderausschuß eine Kopie, das Staatliche Komitee errechnete an Hand des Originals die Renten für die Stasi-Mitarbeiter.

Umstritten ist, ob und wie der VS mit den Unterlagen der Stasi arbeitet. Offiziell, so die Auffassung der Gauck-Behörde und der Staatsschützer, darf er gegenwärtig nicht tätig werden. Die entsprechenden Forderungen der VS-Chefs Lochte (Hamburg) und Scheicher (Hessen) nach einem legalen Zugriffsrecht beziehen sich auf Regelungen des Einigungsvertrages wie der Benutzerordnung, die zwar Einfallstore für den VS beinhalten, ihm jedoch den freien Zugang versagen (vgl. taz von gestern). Dies müsse erst durch eine „eindeutige gesetzliche Regelung im künftigen Stasi-Akten-Gesetz“ geändert werden.