(Noch) Keine Einsicht in Stasi-Akten

Der Sonderbeauftragte für die Stasi-Akten erließ Benutzerordnung/ Auskunftsrechte für Betroffene  ■ Von Petra Bornhöft

Berlin (taz) — Mit einer Mischung aus leichtem Stolz und Unzufriedenheit präsentierten gestern der Präsident der neuen Bundesbehörde für die Stasi-Akten, Jochen Gauck, und der Direktor Hans Jörg Geiger in Berlin die Vorläufige Benutzerordnung für die sechs Millionen personenbezogenen Unterlagen des ehemaligen Ministeriums für Staatssicherheit (MfS).

Stolz waren der Rostocker Ex- Pfarrer und der frühere Münchner Jurist, weil sie den vom Einigungsvertrag festgelegten Rahmen so „bürgerfreundlich wie möglich“ ausgeschöpft hätten. Unzufrieden darüber, „nicht dem verständlichen Anliegen vieler Bürger nach einem umfassenden Auskunftsrecht“ entsprechen zu können. Gauck und Geiger erwarten jetzt vom Bundestag „möglichst bald“ ein endgültiges Gesetz. Es müsse, so Geiger, „auch das Einsichtsrecht für die Bürger beinhalten“.

Diese alte, von der Volkskammer stets abgelehnte Forderung der Bürgerbewegung sei juristisch begründbar mit dem informationellen Selbstbestimmungsrecht. Aus dem entsprechenden Urteil des Bundesverfassungsgerichtes gehe eindeutig hervor, sagte Geiger, daß „nur der, der weiß, was wann wer über ihn weiß oder gewußt hat, seine Menschenwürde wahren und seine Persönlichkeit entfalten kann“. Vorläufig indes kann sich niemand der 16 Millionen ehemaliger DDR-BürgerInnen auf das informationelle Selbstbestimmungsrecht berufen.

Eventuellen Anspruch auf eine Auskunft haben nur diejenigen „Betroffenen und zuständigen Stellen“, die eines der vier folgenden Kriterien geltend machen können: 1. Wiedergutmachung und Rehabilitierung von Betroffenen; 2. Feststellung einer offiziellen oder inoffiziellen Tätigkeit für das MfS; 3. Verfolgung von Straftaten sowie 4. Abwehr einer gegenwärtigen oder drohenden Verletzung der Persönlichkeitsrechte.

Um diese, im Einigungsvertrag festgeschriebenen Grenzen möglichst weit auszudehnen, hat die Behörde nach den Worten Gaucks die Begriffe Wiedergutmachung und Rehabilitierung großzügig ausgelegt: „Wiedergutmachung umfaßt alle Ansprüche auf Schadensersatz oder Herausgabe, bei denen Anhaltspunkte für eine Beteiligung des MfS bestehen“. Die Rehabilitierung sei nicht auf strafrechtliche Rehabilitierung beschränkt, sondern „umfaßt auch die Wiederherstellung der Ehre des Betroffenen“.

Einen in der letzten Zeit besonders umstrittenen Punkt — die Zugriffsmöglichkeiten der Geheimdienste auf die Stasi-Unterlagen — meinen Gauck und Geiger gelöst zu haben. Das Problem ist folgendes: Durch die neuen, in Kürze in Kraft tretenden Geheimdienstgesetze werden andere Behörden verpflichtet, den Diensten im Rahmen der Verfolgung von Staatsschutzdelikten Unterlagen zu übermitteln.

Die Stasi-Akten-Behörde glaubt, von dieser Regelung ausgenommen zu sein. Dabei beruft sich der Jurist Geiger auf den rechtlichen Grundsatz, die „spezialgesetzliche Regelung“ zu den Stasi-Akten breche die „allgemeingesetzliche Regelung“ der Geheimdienstgesetze. Nun ist die „Vorläufige Benutzerordnung“ noch kein „Spezialgesetz“, aber Rechtsexperten aus dem Umkreis der Behörde interpretieren den Einigungsvertrag so, als sei dem Verfassungsschutz und anderen Diensten der Zugang verwehrt. Ob und was welche Behörde sich kopiert habe, sei „schwierig festzustellen“, sagte Geiger.

Dem mehrfach geäußerten Unmut über die langen Bearbeitungszeiten von Anfragen trat Gauck mit einer „Situationsschilderung“ seines Hauses entgegen. Den derzeit rund 100 MitarbeiterInnen — etwa zehn Prozent der bewilligten Stellen — lägen allein 10.000 Anträge von Personen zur Aktenüberprüfung vor. Darunter zum Beispiel 83 Anträge zur Überprüfung von Abgeordneten aller Ebenen. Aus dem öffentlichen Dienst gäbe es 97 Anträge, wobei ein Antrag sich auf bis zu 200 Personen bezieht. Bis jetzt habe die Behörde etwa 300 sogenannte Endbescheide ausgestellt. Für den Fall de Maizière gelte das nicht, hier werde noch weiter geprüft.