Der Stasi-Fall Viehweger und die FDP-Legenden

Lambsdorff und die Springer-Presse ereiferten sich über die „Verleumdungskampagne“ gegen den sächsischen FDP-Spitzenpolitiker Axel Viehweger/ Obwohl schwer belastet, streben der Ex-DDR-Bauminister und seine Partei Prozesse an  ■ Von Petra Bornhöft

Berlin (taz) — Es muß schon sehr dicke kommen, bevor sich Peter Hildebrand (54), der Vorsitzende des ehemaligen Volkskammerausschusses zur Überprüfung der Stasi-Vergangenheit von Abgeordneten, öffentlich aufregt. Wochenlang schwieg er zu dem Stasi-Fall des Ex- Bauministers der DDR, Axel Viehweger (FDP), der bis November 1989 Rapports über Personen und Gruppen dem Ministerium für Staatssicherheit (MfS) geliefert haben soll. Doch jetzt „haben die von einzelnen Vertretern der FDP lancierten Widersprüche, Vorwürfe und Falschdarstellungen ein solches Ausmaß erreicht“, schreibt Hildebrand in einem offenen Brief an den Bundesvorstand der Liberalen, „daß es verantwortungslos wäre, nicht dagegen zu protestieren“.

Während die Liberalen in Bonn auffallend kleinlaut auf das Schreiben reagieren, Viehweger an Prozeßstrategien gegen den Führungsoffizier Holger Zwiebler fummelt, droht die sächsische FDP Hildebrand gar mit einem Gerichtsverfahren. Laut Zwiebler hat das MfS Viehweger seit Mitte 1989 als inoffiziellen Mitarbeiter geführt. Letzte Kontakte mit ihm habe es Ende Oktober/ Anfang November gegeben.

Der Casus Viehweger beginnt mit einer markigen Erklärung des FDP- Spitzenkandidaten Viehweger am 21. September. Er sei „zu keiner Zeit Mitarbeiter der Staatssicherheit gewesen“ und habe „keine Auskünfte gegeben noch gar Zuwendungen für Auskünfte erhalten“. Kein Ehrenwort. Fünf Tage später teilt der Prüfungsausschuß der Volkskammer dem Regierungschef mit, die Minister Viehweger, Preiss und Steinberg seien definitiv Informelle Mitarbeiter (IM) der Stasi gewesen. „Nach Akteneinsicht spricht der Prüfungsausschuß eine dringende Empfehlung zum sofortigen Rücktritt aus.“ Am folgenden Tage mimt der 37jährige Kernphysiker Viehweger vor der Volkskammer den Verzweifelten und tritt zurück. Als Energiestadtrat von Dresden habe er Berichte anfertigen müssen, die auch an die Stasi gegangen seien. Weshalb er dort als Informeller Mitarbeiter geführt worden sei, könne er sich nicht erklären.

Die Zeit des vermeintlich stillen Leidens beginnt. Laut 'Bild‘ „verbarrikadiert“ sich Viehweger „tagelang in seiner Berliner Wohnung“. Das Blatt zitiert FDP-Fraktionschef Mischnick mit den Worten: „Ihn hat die Verleumdung tief getroffen.“ Dabei hat doch der FDP-Bundesparteitag alles getan, den amtierenden sächsischen Spitzenkandidaten für die Landtagswahl von seiner Depression zu befreien. Die Delegierten kritisieren die Praktiken des Prüfungsausschusses, „die jeglicher rechtsstaatlicher Grundlagen entbehren“.

Im Chor mit Lambsdorff legt der FDP-Vize und neue Bundesminister Rainer Ortleb in der 'Welt‘ nach: Bei den Vorwürfen gegen Viehweger handele es sich um eine „gezielte Verleumdungskampagne“ auf Grundlage von „Fälschungen aus dem inneren System der Staatssicherheit“. Gegenüber einem von der FDP nach Dresden geschickten Kölner Rechtsanwalt habe Viehwegers Stasi-Führungsoffizier schriftlich bestätigt, ein Teil der gefundenen Akten sei gefälscht.

Ganz so trübsinnig, wie 'Bild‘ meint, kann Viehweger nicht gewesen sein. Tatsächlich, so Hildebrand, verschafft er sich mit jenem Kölner Rechtsanwalt und dem FDP-Ausschußmitglied am 2. Oktober „illegal“ Zugang zu seinen Stasi-Akten. „Schlechthin dilettantisch“ habe das Trio die Unterlagen ausgewertet. Aus einem „für die „Entscheidung des Prüfungsausschusses sowieso nicht ausschlaggebenden Detail“ konstruieren die Liberalen ihre Fälschungslegende.

Prompt „enthüllt“ 'Bild‘ den „Stasi-Skandal um Ex-Bauminister“ in großen Lettern: „'Bild‘ sah die Akte Viehweger“. Somit „steht fest: Die Akte ist gefälscht“. Am folgenden Tag präsentiert das Blatt entsprechende Aussagen des Führungsoffiziers Holger Zwiebler. Die muß sich 'Bild‘ ebenso zurechtgezwiebelt haben wie ihre angebliche Akteneinsicht. Denn am 11. Oktober treffen in Dresden Axel Viehweger, Holger Zwiebler, Peter Hildebrand, Sonja Rottig (Leiterin des Dresdner Stasi- Archivs) zusammen. In dem der taz vorliegenden Gesprächsprotokoll wird als Ergebnis festgehalten: Zwieblers Zitate in der 'Bild‘ seien „frei erfunden“, es sei „nicht richtig, daß die Reporter der Bild-Zeitung in die Akte Viehweger eingesehen haben“.

Bedeutsamer noch das Fazit des Gesprächs: „1. Herr Dr. Axel Viehweger hat inoffiziell für das MfS gearbeitet. 2. Die Akte von Herrn Viehweger ist weder im Ganzen noch in irgendwelchen Teilen von Herrn Zwiebler gefälscht worden (...) 4. Ob eine Verpflichtung seitens Herrn Viehweger unterschrieben wurde, weiß Herr Zwiebler nicht mehr (...) Das Vorliegen einer Verpflichtung ist auch unerheblich, da Herr Dr. Viehweger bereit war zur Berichterstattung. 5. Während der Zusammenkünfte und Gespräche sind seitens Herrn Dr. Viehweger im Zusammenhang mit dienstlichen Themen Informationen auch zu Personen und Personengruppen gegeben worden.“

Wichtig in diesem Zusammenhang, so Hildebrand in seinem Brief an den FDP-Bundesvorstand, sei die „mit der Akteneinsicht gewonnene Erfahrung, daß keiner der IM zu einer Zusammenarbeit mit dem MfS gezwungen war. Im Gegenteil: Ließ der IM eine Neigung zur Dekonspiration erkennen oder äußerte er den Wunsch, über die Sache z.B. mit dem Pfarrer zu sprechen, wurde die Zusammenarbeit vom MfS sehr bald aufgegeben und der Fall archiviert.“

Ungerührt von dem Gespräch in Dresden verbreitet Viehweger am nächsten Tag in Bonn die persönliche Erklärung: „Ich wiederhole, daß ich nicht als inoffizieller Mitarbeiter für das MfS tätig gewesen bin.“ Die sächsische FDP schaltet Wahl-Anzeigen unter der Überschrift: „Stasi- Lügen keine Chance“. Doch die WählerInnen überzeugt das wenig: mit 5,26 Prozent fällt die FDP in Sachsen bei den Landtagswahlen am 14. Oktober hinter ihr Volkskammerergebnis vom März (5,8 Prozent) zurück. Nun wird es still um die Liberalen und ihren Führungspolitiker Viehweger. Der ziert sich nur kurz, sein Mandat anzunehmen. Am 22. Oktober heißt es: „Ich nehme mein Landtagsmandat an.“ Sein wütendes Gebell im Blatt 'Der Morgen‘ gegen „lückenhafte Untersuchungen des Volkskammerausschusses unter Leitung von Herrn Hildebrand (SPD)“ — er gehört dem Bündnis 90 an — gipfelt in der Äußerung, „daß sich Herr Hildebrand auch heute noch weiteren Spekulationen hingibt, widerspricht jedem rechtstaatlichem Verfahren“.

Gegen diesen Vorwurf setzt sich Hildebrand zur Wehr: Der Ausschuß habe „nie von Schuld im juristischen Sinne gesprochen. Seine Urteile sind vor allem von politisch-moralischer Relevanz.“ Bei der Einsetzung des Ausschusses sei es der Volkskammer um Stärkung des Vertrauens der Bevölkerung „in die moralische Integrität und die politische Handlungsfähigkeit unserer jungen Demokratie“ gegangen. Für die Beurteilung der Abgeordneten und Minister ausschlaggebend „waren die Haltung und die Intensität des Informanten und die potentielle Gefahr der gegebenen Informationen“.

Tatsachen scheinen in der FDP nur den stellvertretenden Vorsitzenden Gerhart Baum zu interessieren. Er räumt am 4. November ein: „Wir haben den Eindruck erweckt, der nicht durch die Tatsachen gedeckt war.“ Viehweger solle sein Landtagsmandat niederlegen. Lambsdorff beharrt auf dem Fälschungsvorwurf. Als Kurzmeldung notieren wenige Medien Viehwegers späten „Verzicht auf das Mandat“. Viehweger zeigt den Führungsoffizier Zwiebler an. Der Sprecher des sächsischen FDP-Vorstandes kommentiert Hildebrands Brief an den FDP- Bundesvorstand gegenüber der taz: „Wir haben eine klare Position: der Prozeß ist der einzig richtige Weg. Was Herr Hildebrand jetzt tut, ist alles rechtswidrig.“