„Wir müssen den Finanzskandal für einen Erneuerungsschub nutzen“

■ Warum Gregor Gysi nicht zurücktritt/ Kritik an den Strukturen und Selbstkritik, weil er nicht aufgepaßt hat/ Einen Wechsel im Vorsitz „ohne Schaden für die Partei“ möglich machen INTERVIEW

taz: Wie weit reicht Gregor Gysis Loyalität gegenüber der PDS? Gibt es da überhaupt eine Grenze?

Gregor Gysi:Es gibt eine Grenze, aber im Augenblick bin ich nicht in der Lage, sie exakt zu bestimmen. Ich bin davon überzeugt, daß hundertausende ehrliche Mitglieder, denen die tiefe Enttäuschung anzumerken ist, hoffen. Die Situation ist ja nicht so, daß man Angst bekommen müßte vor einer Mitgliedschaft, die das Verhalten von Pohl und Langnitschke billigt. Die Stimmung ist gegenteilig.

Mit krimineller Energie haben Teile der Parteiführung versucht, Parteivermögen zu retten. An der Erneuerung der Partei gab es schon vorher Zweifel. Wen wollen Sie jetzt eigentlich noch vom Neubeginn der PDS überzeugen?

Es geht nicht in erster Linie darum, wen wir überzeugen, sondern darum, daß wir es schaffen. Diejenigen, die ohnehin nichts von uns halten, werden wir selbst dann nicht überzeugen.

Aber die Existenz der Partei hängt doch davon ab, ob Sie in der Öffentlichkeit glaubhaft machen kann...,

... das meinte ich ja. Bei Teilen der Öffentlichkeit können wir machen, was wir wollen, da haben wir sowieso keine Chance.

Vielleicht mal etwas konkreter: Stets haben Sie alle Angriffe, die PDS versuche, ihr Vermögen illegal zu bunkern, zurückgewiesen. Noch in der letzten Woche stellten Sie Pohl einen Blankoscheck aus, er habe Restschulden an Moskau begleichen wollen. Da bleibt doch nicht mehr die Spur Glaubwürdigkeit.

Das weiß ich nicht. Obwohl ich im Augenblick wenig Lust verspüre, das zu erklären, ist es doch so, daß diese Partei tatsächlich eine Menge Eigentum abgegeben hat — auch wenn die Schnitte nicht ausreichend waren, wie sich jetzt herausstellt. Ich habe Herrn Pohl getraut, Sie haben Ihn doch auch ein bißchen gekannt.

Deshalb erinnern wir Sie daran: Spätestens im Juni, als Pohl die Öffentlichkeit hinsichtlich der Parteifinanzen im unklaren ließ, hätten doch beim PDS-Chef die Alarmglocken läuten müssen. Im Parteivorstand gab es eine Rücktrittsforderung gegen Pohl. Und die Vergangenheit von Wolfgang Langnitschke als stellvertretendem Leiter der SED-Abteilung Finanzen dürfte Ihnen auch nicht verborgen geblieben sein.

Letzeres ist richtig. Aber die Angriffe gegen Pohl im Parteivorstand richteten sich dagegen, daß er neben den Finanzen auch für Mitglieder und Organisation verantwortlich war. Das war eine Kritik an den Strukturen, die mit den Finanzen nichts zu tun hatte. Nein, mein Vorwurf an mich geht in einen andere Richtung: Als von außen die Diskussion begann und bei uns viele Angst vor Enteignung und Parteiverbot bekamen, hätte mir klar werden müssen, daß jetzt Leute auf solche Ideen verfallen, wie sie Pohl und Langnitschke ausgeführt haben. Ich hätte meine ganze Autorität vorbeugend in die Waagschale werfen und sagen müssen: Solche Dinge kommen für uns nicht in Frage. Das habe ich vernachlässigt.

Und das ist kein Rücktrittsgrund?

Nein. Ein Rücktrittsgrund wäre, wenn ich den Eindruck hätte, daß ich meine bisherige Funktion verliere. Jetzt werden sich alle Angriffe auf mich konzentrieren. Das wird sehr demoralisierend wirken. Dabei geht's einmal darum, ob ich das aushalte, aber auch darum, ob ich nicht zur Belastung für die Partei werde. Bisher hieß es: Naja, in der Partei ist einer — Gregor Gysi — ganz in Ordnung. Das kann sich jetzt umkehren.

Haben Sie bei Ihrer Selbstkritik nicht etwas vergessen? Sie votierten im Dezember gegen die Auflösung der Partei mit dem Argument, man dürfe auf das Vermögen nicht verzichten. Ist der Finanzskandal nicht eine logische Konsequenz eben dieser Position?

Das sehe ich anders, weil sich hinsichtlich des Vermögens unsere Haltung im Januar geändert hat. Im Dezember haben wir nur gesagt, nicht eindeutig rechtmäßig erworbenes Vermögen muß abgegeben werden. Aber das Eigentum war damals auch ein Argument gegen eine Auflösung. Im Januar, als es existentiell um die Auflösung ging, spielte das Eigentum keine Rolle mehr. Danach mußte klar sein, daß solche Gedankengänge zur Rettung des Parteivermögends nicht mehr in unsere Partei gehören.

Seit die Partei den Namen PDS trägt, ist die Auseinandersetzung zwischen schmaler Reformerspitze und den Apparatschiks zu beobachten. Hat sich jetzt nicht die Befürchtung bestätigt, daß die alten Parteisoldaten den Kampf gewonnen haben?

Das glaube ich nicht und fühle mich durch die Atmosphäre bestätigt. Da ist doch Widerstand angesagt, und er wird geleistet. Ich warne vor einer Illusion: Ein Apparat hat immer die Tendenz, sich zu verselbständigen. Selbst wenn wir eine völlig neue Schicht unter unseren 4.000 Mitarbeitern hätten — die ja übrigens auch alle aus der DDR kommen — bestünde die Gefahr zur Verselbständigung ebenso. Wir müssen andere Strukturen von Basis und Apparat schaffen, mit dem Auswechseln von Leuten ist es nicht getan. Die Struktur haben wir nicht beherrscht, insofern gebe ich Ihnen recht. Es hat da keine Auseinandersetzung gegeben.

Ihre Argumentation, Herr Gysi, erinnert an das, was Sie bereits Dezember gesagt haben.

Das bestreite ich nicht. Nur ist die Situation jetzt teilweise schlimmer als im Dezember, weil es jetzt um Selbstverschuldetes geht. Bisher warf man uns unsere politische Herkunft vor. Jetzt sind es wir selbst, die solche Fehler gemacht haben. Aber vielleicht erleichtert es uns, die Erneuerung wirklich voranzubringen. Hier gehts um die Bewältigung der Gegenwart und nicht der Geschichte.

Beides ist doch nicht zu trennen. Auch ein Schalck- Golodkowski hat die Milliarden „zum Wohle der Partei“ zusammengerafft. Ist die These von dem Erneurungsschub via Finanzskandal nicht etwas zu kühn?

Nein, andersherum: Wir müssen den Finanzskandal für einen Erneuerungsschub nutzen. Wenn wir das nicht machen, dann ist alles vorbei.

Worauf gründet sich das Gottvertrauen in die Partei? Parteivorstand und Präsidium vermittelten am Samstag nicht gerade heftig den Eindruck, sie wüßten, daß die PDS mit einem Bein im Sarg steht.

Nein, nein, sie begreifen es schon. Wir reagieren nur alle etwas hilflos. Es kam sehr unerwartet. Es ist wie in der Familie: wenn du dem Ehepartner immer vertraut hast und der macht plötzlich ein krummes Ding, bist du hilflos. Es setzt eine Lähmung ein. Und dann kannst du an die Kinder denken und kommst zu Konsequenzen. Wir sind Menschen mit einer psychischen Befindlichkeit. Man kann da keine mathematische Meßlatte anlegen.

Sie haben Ihren Verzicht auf Rücktritt damit begründet, daß Sie der deutschen und europäischen Linken keinen Schaden zufügen wollen...

Ja, ja, tut mir leid, so war das nicht gemeint. Ich weiß natürlich, daß die auf mich verzichten können...

Wir haben eher den Eindruck, daß Sie eben dieser Linken in Wirklichkeit einen Bärendienst erweisen, indem sie der PDS weiterhin als Integrator, Seelsorger und Aushängeschild vorstehen.

Ich weiß nicht, ob Sie da Recht haben. Wenn Sie sich als Linke verstehen, bitte ich Sie, mal ernsthaft über eine Neugründung einer linken Partei nachzudenken: Ich garantiere Ihnen, daß diejenigen, die dann aktiv daran mitarbeiten, alle aus dem extremistischen Bereich kommen — organisationsverliebte Spartakisten, Trotzkisten usw., die anderen warten ab. Dann wird daraus nicht mehr das, was Sie wollen. Unsere Mitglieder sind friedfertig und bereit, sich demokratisch einzuordnen. Dieses Potential dürfen Sie nicht aufgeben. Wir wollen einen Beitrag dazu leisten, daß eine demokratische Oppositions-Partei entsteht, die nicht in linkes Revoluzzertum verfällt oder meint, mit RAF-Aktionen die Welt verändern zu müssen. Wenn das gelänge, wäre es ein Beitrag zur Stärkung der deutschen und europäischen Linken. Wenn es schief geht, haben Sie recht. Und das macht mich innerlich unsicher.

Am 9.Dezember letzten Jahres sind Sie gewählt worden. Sie haben ein Jahr Zeit gehabt, Ihren Traum zu pflegen.

Noch ist das Jahr nicht um. Ziehen wir am kommenden 8.Dezember Bilanz.

Ist Gregor Gysi nicht das eigentliche Hindernis für die Erneuerung der Partei? In dem Sinne, daß jetzt alle sagen können: Der Kleine macht das schon!

Da muß ich drüber nachdenken. Das Problem: es ist eine Frage des Zeitpunktes. Ich denke, André Brie [Präsidiumsmitglied und im Frühjahr Wahlkampfleiter, d. Red.] kann die Partei auch führen. Aber er denkt, daß er es nicht kann. Ich hab ja nicht umsonst eben auf der Kundgebung gesagt, daß auch dafür gesorgt werden muß, daß ein Wechsel im Parteivorsitz ohne Schaden für die Partei möglich wird. Dieser Frage werde ich mich mit großer Aufmerksamkeit widmen.

Läuft das in die Richtung, doch noch — wenn vermutlich auch zu spät — eine andere politische Perspektive außerhalb der PDS zu entwickeln?

Nein, ich bin nicht nach westlichen Maßstäben zu berechnen. Wenn ich aufhören würde, ginge ich aus der Politik raus. Ich habe meinen Beruf als Anwalt mit Leidenschaft ausgeübt. Danach verspüre ich eine gewisse Sehnsucht. Allerdings habe ich schon damals gedacht, mehr kann man gar nicht arbeiten, als ich es getan habe. Das hat sich als Irrtum herausgestellt. Interview: Petra Bornhöft und Matthias Geis