Ist diesmal alles »anders?«

■ Heute beginnt die 6. Berliner Lesbenwoche/ Neues Konzept läßt mehr Zeit für Schwerpunktthemen

Berlin. Nur ein Wort — anders? — ist das Motto der 6. Berliner Lesbenwoche. Und damit hat frau sich viel vorgenommen. Auf dieser größten Lesbenveranstaltung in Deutschland werden immerhin 2- bis 3.000 Teilnehmerinnen erwartet, die meisten werden extra nach Berlin anreisen. Anders ist in diesem Jahr das Konzept, die Themen sind es nicht. Das Konzept sieht vor, nur einen thematischen Schwerpunkt am Tag zu behandeln. So geht es um die Wurzeln lesbischer Kultur, Lebensweisen und -bedingungen, Gewalt und Widerstand, Lesbenpolitik im Wandel, Spiritualität contra Politik und das lesbische Leben in verschiedenen Städten und Ländern.

Die Organisatorinnen verschickten Aufrufe an Lesbengruppen und -projekte, sich an der Woche zu beteiligen. Jede Rückmeldung wurde ins Programm integriert. Mehr als hundert Veranstaltungen wurden zusammengesammelt, und herauskommen soll ein unzensierter Querschnitt von dem, was die Lesbenbewegung derzeit zu sagen hat.

Wo steht die Lesbenbewegung? Wohl bis zum Halse im eigenen Saft. In dem schmort sie — unberührt von äußeren Ereignissen — vor sich hin. Die deutsche Vereinigung hat sich offenbar unbemerkt von den Lesben vollzogen, und auch die nur vier Wochen nach der Aktionswoche stattfindenden Wahlen werden wohl ohne die Lesben stattfinden [was ist am Wahlboykott negativ? — d.Red.]. Rechtsradikalismus, Aids, Pornographie, Paragraph 175 oder Paragraph 218 scheinen ebenfalls keine »Lesbenthemen« zu sein.

Was aber behandeln die mehr als 155 Diskussionen, Workshops, Vorträge und Treffen? Da gibt es zunächst den Schwerpunkt »Sexuelle Gewalt an Mädchen«. Lesben wenden das Wort homosexuell kaum auf sich an; nur zwei Veranstaltungen zur Sexualität dokumentieren dies. Außerdem geht es um AusländerInnengesetz, Rassismus, Heterosexismus und Gewalt in Lesbenbeziehungen. Auch die Situation von Lesben in der DDR wird erörtert; bis zur nächsten Lesbenwoche hat sich hoffentlich herumgesprochen, daß es die DDR nicht mehr gibt.

Schon seit einigen Jahren muß sich die Lesbenwoche den Vorwurf gefallen lassen, ein Provinzlesbentreffen zu sein. Viele engagierte Lesben blieben in den letzten Jahren zu Hause, immer mehr »Junglesben« machen eine Woche Abenteuerurlaub in Berlin. Die arrogante Berliner Lesbenszene wähnt sich sowieso erhaben über die abgegessenen Themen und nimmt allenfalls noch an den Partys teil. Parallel zur Lesbenwoche findet in Berlin ein weiteres homosexuelles Ereignis statt — die Aktionswoche gegen den 175er. Berührungspunkte zwischen Schwulen und Lesben gibt es aber scheinbar nicht. Es konnte gerade noch verhindert werden, daß die Demonstration gegen den Paragraphen zeitgleich mit der Lesbendemo stattfindet.

Die 6. Berliner Lesbenwoche beginnt heute mit dem großen Eröffnungsplenum um 15 Uhr im Mehringhof und der Eröffnungsparty am Abend im Tempodrom. Manuela Kay