NIE WIEDER DROGENKRIEG VONMATHIASBRÖCKERS

Die Nachricht von den Schüssen auf Innenminister Schäuble wurde auf SAT 1 eingeblendet, als Nick Nolte und Eddy Murphy (In „48 Stunden“) die Gangster gerade gestellt hatten. „Der Täter wurde gefaßt, er stammt vermutlich aus der Rauschgiftszene“ — kaum daß dieser Satz durchgelaufen war, machte es „Rums“, und der coole Nick hatte einem der Finsterlinge eine Kugel ins Hirn geblasen. Zurecht — der Kerl hatte nicht nur zwei Polizisten und reichlich Unbeteiligte umgelegt, sondern auch die Finger im Rauschgiftgeschäft. Diese Koinzidenz von brutalem Krimi und rauher Wirklichkeit fiel mir am nächsten Morgen wieder ein, als ich die neuen Rekordzahlen las: „Schon mehr Drogentote als 1989 [...] Allein in NRW waren bis zum 1.0ktober mit 248 Menschen [...] mehr gestorben als im gesamten Jahr 1989. Damals wurde die Höchstzahl von 239 Drogentoten verzeichnet. In anderen Bundesländern sieht es nicht besser aus. Ein einheitliches Konzept zur Bekämpfung der Gefahr gibt es nicht — und der Vorstoß von Hamburgs Bürgermeister Henning Voscherau (SPD), der bis zur vollständigen Freigabe harter Drogen geht, findet anderswo kaum Akzeptanz. Bittere ,Rekordmarken‘ werden aus allen Teilen des alten Bundesgebiets gemeldet.“

Das war eine merkwürdige Nachricht. Nicht der Rekord an Drogentoten, der, bei aller Fragwürdigkeit der Statistik, nicht überraschen kann, sondern der Hinweis, daß es ein „einheitliches Konzept zur Bekämpfung der Gefahr“ nicht gibt. Nach den Schüssen auf den Minister schien doch eher das Gegenteil in der Luft zu liegen: daß das weltweit von Don Johnson über Nick Nolte bis FBI und BKA einheitliche Konzept der Drogenbekämpfung — der gesetzlich verordnete „Krieg gegen Drogen“ — in eine neue Runde geht. Schließlich war der Schütze wegen eines BTM-Delikts fünf Jahre im Gefängnis — und da sieht man mal wieder, was passiert, wenn man solche Typen einfach laufen läßt...

Wenn es globalpolitisch ein einziges einheitliches Konzept gibt, dann ist es die Drogen-Prohibition. Kein Ding auf der Welt ist so einheitlich geächtet wie Drogen, der Dealer ist, neben dem Terroristen, die Ikone des Bösen im ausgehenden 20. Jahrhundert. Und er ist mehr als das. Wenn man dem Buch Genesis Glauben schenken darf, war es eine Drogenrazzia, die der Vertreibung aus dem Paradies voranging: „Ihr werdet wissen und sein wie Gott“ — ausgerechnet dieses offenbar bewußtseinserweiternde Früchtchen hatte der Alte auf den Index gesetzt. Und ohne den Dealer, den ersten Schwarzhändler, Schieber und Pusher schlechthin, wäre es auch dort geblieben. So aber — welches Tier könnte die Heimtücke des Tuns besser symbolisieren als die Schlange — trat er in Aktion und schwärmte Eva von den Wirkungen der Droge ... und damit nahm alle Erdenpein ihren Anfang. Als Erbsünde, die alle nachfolgenden Generationen abzutragen haben, spielt Evas BTM-Verstoß in den christlichen Religionen bis heute eine zentrale Rolle: Er ist verantwortlich für die Gottesferne, in der hienieden geackert werden muß. Der Krieg gegen Drogen und den Dealer als Menschenfeind Nummer eins basiert auf einem Programm, das seit über 2.000 Jahren in die human- genetische Festplatte eingeschrieben ist. Es hat sich jeder Aufklärung, Moderne, Kritischen Vernunft entzogen und läuft nach archaisch-archetypischem Muster. Jetzt hat ein Besessener den großen Drachentöter schwer verletzt, aber keine Frage — der Krieg geht weiter.

Auch von marktwirtschaftlichen Programmen läßt sich der mythische Irrationalismus des Drogenkriegs nicht beirren. Jeder Kaufmannslehrling kann ausrechnen, was eine Profit-Marge von 5.000 Prozent bei Kokain bedeutet, wo Produkte wie Coca-Cola gerade mal 15-20 Prozent abwerfen: daß dies ausreicht, um einen lukrativen Kokain-Vertrieb bis hinunter auf die Schulhöfe sämtlicher Grundschulen zu finanzieren. Wurde aber jemals von irgendwo gemeldet, daß finstere Dealer an Spielplätzen und Jugendtreffs klandestin Alkohol anbieten? Wäre die Gewinnspanne beim Schnaps so hoch wie bei Drogen, gehörten derlei Nachrichten zur Tagesordnung. Trotz dieser einfachen Rechnung lautet das einheitliche Konzept der Drogenbekämpfung nicht, die Profit-Marge endlich herunterzubringen. Im Gegenteil, die „verstärkten Anstrengungen“ im „Krieg gegen das Rauschgift“ treibt sie weiter nach oben, und mit ihr die Zahl der Opfer, der Toten, der Verurteilten, der Kriminellen. Also derer, die durch diesen heiligen Krieg doch eigentlich vor Elend und Tod bewahrt, gerettet werden sollen. Nur ein Ende der Prohibition, die kontrollierte Wieder-Freigabe sämtlicher Drogen (die meisten waren lange Zeit legal), ihre Entmythifizierung und Reduktion auf einen Freizeitartikel für Erwachsene mit marktüblichen Profitspannen, könnte irgendetwas retten, allein, rechnen, der Vernunft, der Logik, dem gesunden Menschenverstand zu folgen, war noch nie angesagt, wenn es auf einen Kreuzzug ging. Halbwegs bei Verstand gebliebene Ritter wie Henning Voscherau, ein paar Grüne und Liberale in aller Welt schwimmen einsam gegen den Strom — große Demonstrationen unter der Parole „Nie wieder Drogenkrieg“ werden schon deshalb nie stattfinden, weil die Pazifisten hernach die Durchsuchung ihres Arzneischränkchens befürchten müßten. Wer aber „Nie wieder Krieg“ meint und nicht auch „Nie wieder Drogenkrieg“ sagt, der sollte sich gleich zum posthumanen Zynismus durchringen: „Nie mehr Hiroshima, einmal noch Nagasaki“. Was die zu befürchtenden Opfer der Zukunft angeht, scheint der Drogenkrieg gefährlicher als die Atombomben...

LIEBEDEINENNÄCHSTENDEALERWIEDICHSELBST