KOMMENTAR
: Langsame EG

■ Die europäische Integration braucht noch viel Zeit

Zuweilen macht die EG den Eindruck, als ob es mit ihr überhaupt nicht mehr voranginge. Der Termin, zu dem die EG-Kommission dem GATT ihre Vorschläge für den Abbau der Agrarsubventionen vorzulegen hat, kann aller Voraussicht nach nicht eingehalten werden. Unklar ist auch, wann die zweite Stufe der Wirtschafts- und Währungsunion in der Europäischen Gemeinschaft beginnen soll. Und der italienische Europa-Minister sieht völlig zu Recht, daß das Jahr 1992 wohl kaum als das der Vollendung des Binnenmarktes in die Euro-Annalen eingehen wird.

Selbstverständlich ist es ungerecht, das Entscheidungstempo der Eurokratie mit dem in der Wirtschaft zu vergleichen. Die strukturelle Langsamkeit der EG rührt in erster Linie daher, daß in dem komplizierten Gefüge aus Ministerrat, Kommission, Europaparlament, den zwölf Regierungen und Parlamenten alle Beteiligten darauf achten, möglichst nicht über den Tisch gezogen zu werden. So ist es nahezu unmöglich geworden, im GATT gegenüber den USA einheitlich aufzutreten. Bei der Wirtschafts- und Währungsunion gehen die Ansichten darüber, in welchem Umfang etwa Haushaltsdefizite wirtschaftspolitisch verantwortbar sind, weit auseinander. Nicht einmal die angekündigte Freiheit des Warenverkehrs im Binnenmarkt läßt sich ohne weiteres verwirklichen. Noch ist nicht abzusehen, ob in Großbritanien gebaute Toyotas nach Italien eingeführt werden dürfen.

Beschleunigt würde das europäische Entscheidungswesen erst, wenn die EG einer Reform an Haupt und Gliedern unterzogen würde. Deren zwei wichtigste Bestandteile wären eine Aufwertung des Europaparlamentes wenigstens auf das Niveau der Parlamente in den Mitgliedsstaaten einerseits, das Abtreten nationaler Souveränitätsrechte an die EG andererseits. Solange in Brüssel jedoch Kommissionsbeamte wie Minister und Minister wie Parlamentarier agieren, ist mit einem schnelleren Vorankommen nicht zu rechnen.

Selbst wenn es anders käme — erstrebenswert wäre auch dieser Zustand nicht. Brüssel, Luxemburg und Straßburg sind zwar nicht geographisch, aber politisch von überallher zu weit weg. Und dies selbst dann, wenn das Europaparlament seinen Namen verdient und die EG-Kommission Politik nicht betreibt, sondern exekutiert. Soeben hat das Europaparlament beschlossen, die EG-Währung Ecu schon in fünf Jahren einführen zu wollen — was eine koordinierte europäische Währungs- und Wirtschaftspolitik zur Voraussetzung hätte. Ein grotesker Beschluß angesichts des vorherrschenden Kompetenzwirrwarrs. Kommissionspräsident Delors hat gegenüber diesem Ansinnen denn auch gleich zu verstehen gegeben, was er von den Europaparlamentariern hält: Die sollen sich nicht so aufspielen. Dietmar Bartz