Marketenderei für die Dritte Welt?

■ Expertengespräch zur Verwertung der NVA-Überbleibsel/ Für die Dritte Welt fällt kaum etwas ab

Berlin (taz) — Matthias Heyl kommt leicht ins Schwärmen, wenn er von der „großen Marketenderei“ der Nationalen Volksarmee erzählt. „Wir haben da geburtshilfliches Material wie für eine Damenarmee gefunden.“ Was ihn daran begeistert: Als Referatsleiter für humanitäre Hilfe im DDR-Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit darf er Bestände der NVA „requirieren“ und in die Dritte Welt verschiffen. In Zusammenarbeit mit dem Auswärtigen Amt in Bonn. Derzeit werden acht bis zehn Groß-LKWs für Flüchtlinge in Jordanien abgefertigt, bei den medizinischen Gütern reicht die Palette vom mobilen Feld-OP bis zur Zahnstation, und Lebensmittel — zum Beispiel Weizen für Mosambik — hat man den DDR-Bauern abgekauft.

Das Thema des „Expertengesprächs“ im Haus der Ministerien, auf dem Referatsleiter Heyl vergangene Woche berichtete, lautete: Was fällt bei der 100-prozentigen Abrüstung der Nationalen Volksarmee für die Dritte Welt ab? Ist die Konversion von ehemaigen militärischen Gütern ein brauchbarer Ansatz für Entwicklungspolitik? Eingeladen hatte das „Akzentprojekt Entwicklung und Zusammenarbeit“— einst von Außenminister Meckel initiiert und jetzt auf dem Weg, sich in eine Stiftung zu verwandeln. Eine zweite gute Tat stellte die entwicklungspolitische Gruppe „Oikos — eine Welt“ vor: In Zusammenarbeit mit der Welthungerhilfe schickt sie ausgediente IFA-Lastwagen der NVA nach Eritrea, für Lebensmitteltransporte. Aber das war's dann auch: Pragmatische Verwertung der Überbleibsel einer in drei Wochen nicht mehr existierenden Armee. Die anwesenden Wissenschaftler und Entwicklungspolitiker waren nicht so recht zufrieden. Es sei zwar gut, manches „mit Anstand weiterzugeben“. Aber wer kümmert sich darum, was genau wie verwendet wird?

Vor allem aber wird mit der NVA auch die Entwicklungspolitik der DDR abgeschafft, und was dann kommt, weiß niemand. In den Bonner Ministerien für Verteidigung und wirtschaftliche Zusammenarbeit interessiert sich bislang niemand für eine „Friedensdividende" zugunsten der Dritten Welt. Friedrich Huth aus dem Beraterstab des Ostberliner Abrüstungsministeriums hatte sich deshalb lieber an Egon Bahr gewandt — umsonst: Eine umweltverträgliche Zerstörung des gesamten NVA-Materials würde, so Bahr, 4 bis 5 Milliarden Mark kosten — genau soviel meint die SPD „höchstens“ am Militäretat (53 Milliarden) einsparen zu können. Rechne man die Kosten für die Wiederherstellung verdorbenen Geländes hinzu, die Wirtschaftshilfe für die Kommunen und Regionen mit aufgegebenen Standorten, falle in den nächsten drei Jahren sicherlich nichts für die Dritte Welt ab. Michael Rediske