„Integration hat sowieso keine Chance“

In Essen laufen Bürgerinitiativen gegen die Unterbringung von Flüchtlingen Sturm/ Die AsylbewerberInnen sollen in Sammellagern am Stadtrand untergebracht werden/ Vereinzelt werben Anwohner aber auch um Verständnis für Flüchtlinge  ■ Aus Essen Bettina Markmeyer

„Die Stimmung ist weiterhin beschissen“, sagt Albert Brandhorst von der Bürgerinitiative Grimbergstraße im Essener Stadtteil Kray. Auch heute gehen die KrayerInnen wieder auf die Straße. „Wir haben die Schnauze voll“, steht auf dem Flugblatt, mit dem die Bürgerinitiative zur Kundgebung gegen die „desolate Asylpolitik“ und „die selbstherrliche Essener Stadtverwaltung“ auf dem Krayer Markt aufruft. Und sicher werden es wieder mehrere hundert BürgerInnen sein, die dem Aufruf folgen.

Gleichwohl, so wollen es die Leute von der Initiative, soll die Versammlung der Information und der Mäßigung dienen. „Wir wollen keinen Zoff“, so Brandhorst. Zwar seien die Zustände in und um die zweistöckigen Containerhäuser, die die Stadt Essen an der Grimbergstraße für über 400 AsylbewerberInnen errichtet hat, „untragbar“, doch müßten sich nun die AnwohnerInnen und die Flüchtlinge um ein „geregeltes Nebeneinander“ bemühen: „Mehr ist sowieso nicht drin. Integration hat unter diesen Bedingungen keine Chance.“

An der Krayer Grimbergstraße leben vor allem Roma. Als sie im Sommer einzogen, war die Empörung im Stadtteil groß. Die Verwaltung hatte den KrayerInnen zuvor erklärt, die Container würden für Aussiedler aufgestellt. In einer turbulenten Versammlung im Krayer Rathaus Anfang August hatte sich nicht nur der Essener Sozialdezernent Günter Herber (SPD) scharfer Angriffe zu erwehren. Offen kündigten wütende Versammlungsteilnehmer Gewalt gegen die Roma an. Solche Szenen haben sich im letzten Monat auf Versammlungen und Kundgebungen in der Revierstadt wiederholt. Noch am Freitag letzter Woche beschimpften Bewohner von Altendorf während einer skandalösen Versammlung in der dortigen Kirche St. Clemens Maria Hofbauer die RednerInnen, die um Verständnis für Flüchtlinge warben, als „widerwärtige Kommunistenschweine“. Parolen wie „Ausländer raus“ und selbst „Juden raus“ erschollen im Kirchenschiff.

Auch manchem BI-Mitglied ist der Schreck in die Glieder gefahren. Mit solchen RuferInnen wie in der Altendorfer Kirche will man nicht in einen Topf geworfen werden. Edith Schneiders von der seit zwei Wochen existierenden BI Altendorf, die bereits 900 Unterschriften gegen neue Häuser für etwa 100 Flüchtlinge im Stadtteil gesammelt hat, betont, daß man „am Asylrecht als solchem“ nicht rütteln wolle.

Sauer sind alle BIs über die in ihren Augen äußerst mangelhafte Information seitens der Verwaltung. Von „Nacht-und-Nebel-Aktionen“ ist allenthalben die Rede, in denen die Stadt Grundstücke zur Container-Bebauung freigebe. Mit besonderem Zorn erinnern beispielsweise die KrayerInnen daran, daß die Stadt auf dem Acker, wo jetzt die Containerhäuser stehen, zuvor Bauvorhaben der Kirchengemeinde abgelehnt hatte.

Anfang September warnte die Verwaltung ihrerseits vor „Scharfmachern aus dem rechten Spektrum“, die auf Flugblättern angeblich neue, tatsächlich gar nicht geplante Standorte für Übergangswohnheime ankündigten.

Am letzten Montag haben sich neun Essener Bürgerinitiativen zusammengeschlossen. Gemeinsam arbeiten sie an Forderungen, die sie an die Stadt, aber auch an Landes- und Bundesregierung richten wollen. Ihre wichtigsten Ziele: Die Flüchtlinge sollen langfristig aus den Wohngebieten verschwinden, alle Neuankömmlinge, sofern die Stadt sie nicht überhaupt abweisen kann, sollen in Außengebieten der Stadt angesiedelt werden. Grundsätzlich müßte über Asylbewerber in schnelleren, „aber menschlichen“ Verfahren entschieden werden. Herbert Landen von der BI „Essen ist voll“ im südlichen Bezirk Stadtwald ist sicher, daß „um Sammellager kein Weg herum führt“. Dort könnten vor allem die „Asylanträge der Zigeuner“ schneller geprüft und die „reinen Wirtschaftsflüchtlinge aus den südosteuropäischen Ländern wieder nach Hause geschickt werden“.

Obwohl sich die BIs zusammengeschlossen haben, um, so ein Sprecher, „sich von der Verwaltung bei der Standortwahl für Übergangswohnheime nicht gegeneinander ausspielen zu lassen“, zeichnen sich doch Unterschiede zwischen den Initiativen im reichen Essener Süden und denen in den nördlichen Stadtteilen ab, wo schon jetzt weit mehr Flüchtlinge leben. Während im Süden zunehmend auch mit rechtlichen Mitteln gegen die Planung von Flüchtlingsheimen angegangen wird, hat beispielsweise die BI Grimbergstraße angefangen, sich für Verbesserungen in der Containersiedlung selbst einzusetzen. Das Sozialamt reagierte in dieser Woche und sagte Kinderbetreuung, Sozialräume, mehr Personal und bessere Ausstattungen zu.

Obwohl die Bürgerinitiativen vor allem die Essener SPD der Untätigkeit in der Flüchtlingspolitik bezichtigen, liegen sie mit ihren Forderungen schon gar nicht mehr so weit entfernt von den Essener SPD-KommunalpolitikerInnen, wie es auf den ersten Blick scheinen mag. Oberbürgermeisterin Annette Jäger forderte Stadtdirektor Busch mit Hinweis auf das Wohnungsbauerleichterungsgesetz erst kürzlich auf, zu prüfen, ob Notunterkünfte in Zukunft vermehrt in Außenbereichen gebaut werden können. Und auch die BürgerinitiativlerInnen haben innerhalb der SPD längst ihre Fürsprecher ausgemacht: Bestätigt sehen sie sich durch den Asylrechtsvorstoß Oskar Lafontaines. Und auch die Persona non grata bei den Sozialdemokraten haben sie längst ausgemacht: den nordrhein-westfälischen Innenminister Herbert Schnoor, weil er sich für ein Bleiberecht für heimatlose Roma einsetzt.