Umweltminister war inoffizieller Stasi-Mitarbeiter

Ehemaliger Regierungsbevollmächtigter Fischer enttarnte Steinberg als Stasi-Mitarbeiter/ Unruhe in der Volkskammer/ Innenminister Diestels Tageshoroskop: „Konzentrieren Sie sich auf liegengebliebene häusliche Reparaturen“  ■ Von Petra Bornhöft

Berlin (taz) — Wegen gähnender Leere auf der Regierungsbank verordnete Volkskammervizepräsident die Mittagspause. Zu Recht hatte der Abgeordnete Schulz (Bündnis 90) die Debatte über den Einigungsvertrag ironisch zusammengefaßt: „Als ob wir hier das sechste Überleitungsgesetz zur Einführung der Wasserwirtschaft verhandeln.“ Die bekannten Positionen aller Parteien zu jenem Werk, wahlkampfgerecht aufbereitet — selbst drei Tassen Kaffee in der Lobby halfen den Parlamentarieren nicht gegen die Langeweile. Da platzte die mittlere Bombe: Umweltminister Karl Steinberg (CDU) sei jahrelang informeller Mitarbeiter der Staatssicherheit gewesen, einer von vier DDR-Ministern und 68 Abgeordneten, denen dasselbe vorgeworfen wird. Damit überraschte der ehemalige Regierungsbeauftragte zur Auflösung der Stasi, Werner Fischer, die zusammengetrommelten Journalisten.

Fischer, sich „zweihundertprozentig sicher“ fühlend, forderte den sofortigen Rücktritt des Ministers, der als amtierender Landessprecher von Sachsen-Anhalt als De-facto- Ministerpräsident die Amtsgeschäfte zwischen dem 3. Oktober und der Wahl des anhaltinischen Parlamentes übernehmen sollte. Während seiner Tätigkeit als Regierungsbevollmächtigter will Fischer eine Fülle von Hinweisen über Stasi-Aktivitäten von Volkskammerabgeordneten und Regierungsmitgliedern bekommen haben. Er leitete sie dem parlamentarischen Sonderausschuß zur Überprüfung der Abgeordneten zu. Leider, so Fischer, sei dieser Ausschuß bisher nicht in der Lage gewesen, ausreichende Auskünfte zu geben und Namen zu nennen. Der Name Steinberg sei „nur ein Beispiel für weitere Mitglieder der Regierung, die auf eine solche Vergangenheit zurückblicken können“, sagte Fischer. Er habe sich zu diesem Schritt entschlossen, um drei Wochen vor der Vereinigung noch einmal Druck auszuüben, die Berichte des Ausschusses in der Volkskammer öffentlich zu hören.

Steinberg ist eine klassische Blockflöte, der der Umbruch in der DDR zur steilen Karriere verhalf. 1941 geboren, trat der Junge 1954 in die SED-Jugendorganisation FDJ ein. Vier Jahre später schloß er sich der CDU an. Die SED dankte es ihm mit einem Chemie-Studienplatz inklusive Professorentitel. Seit 1976 lehrte Steinberg an der Karl-Marx- Uni Leipzig. Diesen Aufstieg sicherte Steinberg sich durch aktives politisches Engagement für den DDR- Sozialismus: 1965 CDU-Bezirksvorstand Merseburg, seit 1971 Abgeordneter der Volkskammer. Im Dezember berief Ministerpräsident Modrow ihn zum stellvertretenden Minister für Schwerindustrie. Im gleichen Monat wurde er zum Stellvertreter des CDU-Vorsitzenden Lothar de Maizière gekürt, mit dem er die Blockpartei in eine Partnerin der westdeutschen CDU verwandelte. Lothar ließ sich nicht lumpen: In seiner Regierung steht Steinberg dem Umwelt- und Reaktorministerium vor. Wie ernst Steinberg es mit der Ökologie meint, bewies er gleich in den ersten Tagen: Er feuerte den in der DDR hoch angesehenen Umweltschützer Prof. Succow aus dem Ministerium. Danach verkaufte Steinberg die DDR-Stromwirtschaft im Handstreich an die drei West- Konzerne RWE, PreussenElektra und Bayernwerk. Er unterschrieb einen Vertrag, der einer ökologisch verträglichen, kommunalen Energieversorgung einen Riegel vorschob. Proteste in und außerhalb der Volkskammer ignorierte Steinberg.

Zu den Vorwürfen gegen Steinberg wollte de Maizière sich gestern nicht äußern. Er überließ es Gehler, Fischer wegen der Namensnennung zu attackieren und dann zu verkünden, de Maizière werde nach Steinbergs Rückkehr aus Chemnitz mit dem Minister „ein klärendes Gespräch führen“. Selbiges droht möglicherweise auch Diestel, dem das Tageshoroskop gestern riet: „Konzentrieren Sie sich auf die Arbeit und liegengebliebene häusliche Reparaturen.“ Fischer, die BesetzerInnen der Stasi-Zentrale und Abgeordnete wiederholten ihre Kritik, der Innenminister behindere die Aufklärung der Stasi-Vergangenheit. Mehrheitlich beschloß die Volkskammer, den Antrag von 20 Abgeordneten aller Fraktionen auf Entlassung Diestels nicht vor abgeschalteten Kameras nach Mitternacht zu debattieren.