Ost-Grüne „nicht über die Klinge springen lassen“

■ Heide Rühle, Bundesvorstandssprecherin der Grünen, zur Ausgrenzung der DDR-BürgerInnenbewegungen bei den Wahlen

INTERVIEW

taz: Nach dem Wahlkonsens hast du dich als eine der SprecherInnen des grünen Bundesvorstands genauso flink von den DDR-Bürgerbewegungen verabschiedet, wie SPDFDPCDU. Welcher Teufel reitet die Grünen?

Heide Rühle: Die Grünen verabschieden sich nicht von den BürgerInnenbewegungen. Wir haben den Schwarzen Peter zugeschoben bekommen, uns zu entscheiden zwischen dem ökologischen Teil der Bewegung - wie er von den Grünen repräsentiert wird - und dem Teil, der stärker für die BürgerInnenrechte steht. Dieses Dilemma wurde uns aufgedrängt.

Warum grenzt Ihr die Bürgerbewegungen schon öffentlich aus, bevor am kommenden Woche über jenes „Dilemma“ zwischen Bewegungen, Ost- und West-Grünen verhandelt wird?

Wir grenzen nicht aus, sondern haben uns überlegt, wie wir mit dem verabschiedeten Verfahren umgehen und welche Angebote wir jetzt noch machen können. Die BürgerInnenbewegungen wollen nicht Huckepack genommen werden. Das hat Konrad Weiß sehr deutlich gesagt. Wir können mit dem Verfahren, das Listenverbindungen konkurrierender Parteien ausschließt, keine gleichberechtigte Partnerschaft zwischen den Grünen-Ost und den BürgerInnenbewegungen mehr eingehen.

Das ist doch nicht wahr: Ost-Grüne und etwa Bündnis 90 könnten eine Wahlpartei bilden und dann eine Listenverbindung mit den West-Grünen eingehen.

Diese Möglichkeit haben wir ihnen schon mehrfach vorgeschlagen. Sie steht auch noch im Raum, nur wurde sie bislang von niemandem aufgegriffen.

Öffentlich habt Ihr sie zu den Akten gelegt, oder werden die West-Grünen sich doch noch für diese Lösung stark machen?

Wir werden uns für gar keine Lösung stark machen, sondern die Vor- und Nachteile der verschiedenen Möglichkeiten benennen und dann die DDR-Gruppen entscheiden lassen.

Warum favorisiert Ihr eigentlich die bedeutungs- und substanzlosen Ost-Grünen?

Wir können die Ost-Grünen nicht über die Klinge springen lassen. Ihre Substanz besteht in der Vertretung der ökologischen Frage. Das ist in der DDR kein Leckerbissen. Die BürgerInnenbewegungen wollen hingegen das breite Spektrum darstellen, in dem die Grüne Partei nur ein Teil ist. Weder sie noch wir wollen die Ost-Grünen ausgrenzen. Uns fällt die undankbare Aufgabe zu, jemand aus diesem Spektrum rauszupicken oder sie selber entscheiden zu lassen. Wir sind für letzteres...

...Mit einer klaren Ablehnung einer Wahlpartei in der DDR.

Mit dieser Wahlpartei haben vor allem die „Initiative Frieden und Menschenrechte“ sowie „Demokratie Jetzt“ Probleme. Einmal wegen ihrer Satzung, die Mitgliedschaft in Parteien ausschließt. Das Kunstprodukt Wahlpartei sei, so sagten sie uns, für sie ein zu hoher Unsicherheitsfaktor, insofern als diese Wahlpartei sich verselbständigen und damit gegen die BürgerInnenbewegungen richten könne. Die wollen dieses Kunstprodukt nicht.

Demnach bliebe ihnen das, was die SPD schon mal erfolglos angedient hat: politisches Asyl auf Listenplätzen der Grünen?

Denkbar wäre diese Möglichkeit. Im Unterschied zur SPD praktizieren die Grünen jedoch keinen Fraktionszwang. Die Personen würden im Parlament weiterhin für ihre Gruppen sprechen.

Gleichzeitig optieren wir in Richtung einer Fusion mit den Ost-Grünen mit offenen Listenplätzen. Sie wünschen die Vereinigung noch vor dem Parteitag. Das können wir nicht einfach ablehnen. Drei Landesverbände sind im Gespräch, die den Listenplatz 1 für BürgerInnenbewegungen anbieten.

Warum in aller Welt könnt Ihr mit den Ost-Grünen nicht nach den Wahlen fusionieren?

Sie wollen es früher und wir können nicht verlangen, daß sie darauf verzichten. Das widerspräche meinen demokratischen Vorstellungen.

Könnte es für die Grünen nicht eng werden, wenn die Bürgerbewegungen zum Wahlboykott aufriefen?

Auf jeden Fall werden wir am Wochenende auch diskutieren müssen, was der Wahlmodus schlimmstenfalls bedeuten könnte: daß OppositionsvertreterInnen aus fünf neuen Ländern ausgeschlossen wären im Bundestag. Hier stehen die BürgerInnenbewegungen in der Pflicht gegenüber ihren früheren WählerInnen und muß sich gründlich überlegen, ob der Wahlboykott das richtige ist. Ich halte ihn für völlig falsch. Wir können uns jetzt nur noch für das kleinere Übel entscheiden, um doch noch einige DDR -OppositionsvertreterInnen in den Bundestag zu bekommen.

Interview: Petra Bornhöft